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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 02.02.2010


Andrea Camilleri - Die Farbe der Sonne
Adriana Stern

Es ist der berühmte und sagenumwobene Caravaggio selbst, dem der Autor in diesem Buch eine Stimme gibt. Im Jahr 2004 wird ihm sein Tagebuch unter mysteriösen Umständen an einem ihm unbekannten Ort...




... übergeben. Er darf das Buch jedoch nicht mitnehmen, nur daraus abschreiben, was immer er für wichtig hält.

Und genau das tut der Autor in seinem Roman in fliegender Hast, um möglichst viel aus diesem Tagebuch mitzunehmen, damit er seinen LeserInnen ein umfassendes Bild der letzten Lebensjahre dieses außergewöhnlichen Malers geben kann.

Caravaggio war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, und es gibt kaum einen anderen, um den sich so viele Sagen ranken. Sein Lebenswandel jedoch, so die Biografin Sybille Ebert-Schifferer, war für die damalige Zeit durchaus üblich. Dennoch beflügelt der Lebenslauf des Malers die Phantasie seiner Bewunderer und hat dies, wie im vorliegenden Roman deutlich, auch bei Camilleri getan.

Camilleri wählt die letzten drei Jahre des Malers aus, über die vieles bekannt geworden ist. Camilleri lässt die Legenden um ihn aus dessen Sicht und mit seiner Sprache schildern. Doch nicht nur die bewegende Zeit des Malers, gekennzeichnet durch Flucht, Angst und Verfolgung, interessiert den Autor, sondern auch seine für die damalige Zeit unkonventionelle Art, Bilder zu malen. So hat Caravaggio viele Nachahmer und zu Lebzeiten auch viele Neider wegen seines neu entwickelten Malstils auf den Plan gerufen. Er malte stets allein, hatte keine Schüler, gab das Geheimnis seiner Kunst niemals preis.

Aufsehenerregend für seine Zeit war die scheinbare Alltäglichkeit der dargestellten Szenen und Situationen und sein Realismus der Darstellung, vor allem aber waren seine Hell-Dunkel-Kompositionen neu und ausgefallen, sind bis heute geradezu spektakulär geblieben. Wie, mag sich Camilleri gefragt haben, konnte Caravaggio auf diese Weise malen?. Er findet die Lösung in einer vermuteten Augenkrankheit Caravaggios, die den Maler in die Lage versetzte, völlig anders zu sehen und entsprechend anders zu malen als andere zu jener Zeit.
Caravaggio stellt in der Phantasie des Autors nach einer Behandlung durch eine Heilerin folgendes fest: " Dann schaut ich in die Sonne. Wie groß war mein Staunen, als ich erkannt, dass die Sonne sich augenblicks schwarz gefärbet…und dass aus ihr ein schwarzes Licht hervorging…"

Zwölf der berühmten Bilder Cravaggios sind in dem Buch als Farbfotografien abgebildet und zu jedem dieser Bilder vertraut der Maler dem Tagebuch eine besondere, bis heute unbekannte Begebenheit an. Das verändert den Blick der Betrachterin und eröffnet der Leserin einen neuen Zugang zu Caravaggios Kunst, weil nun Aspekte in den Bildern deutlich werden, die zuvor im Verborgenen lagen.

Nach der einführenden, krimihaften Schilderung, wie Camilleri an die Tagebücher kam, gliedert er das Buch in sechs Abschnitte, den realen damaligen Fluchtorten Caravaggios folgend.

Das Tagebuch, in einer Sprache gehalten, wie sie Caravaggio verwendet haben könnte, beginnt auf Malta, wohin er nach einer Schlägerei mit tödlichem Ausgang flieht. Camilleri zeichnet seinen Protagonisten von Beginn an in düsteren Farben, stellt seine Andersartigkeit, die in seiner Umgebung auf Befremden stößt, in den Vordergrund und lässt ihn sagen: "Vor allem empfahl Fra´ Raffaele mir, meinen Charakter zu zügeln, der mir allgroßen Schaden einzubringen vermöcht´".

In Gesprächen Caravaggios wird deutlich, dass ihm niemand die Augenkrankheit glaubt, wegen der er nicht anders zu malen imstande ist.
Auf diese beiden Themen, den schwierigen Charakter des Malers und seine Augenkrankheit, konzentriert sich Camilleri durch das gesamte Tagebuch hindurch. Beide Themen spitzen sich im Laufe des Malerlebens dramatisch zu. Nachdem ihm die Ausübung "magischer Kunst" vorgeworfen wird, flieht er nach Gigenti und Licata.

Von dort muss er nach kurzer Zeit erneut fliehen, diesmal nach Messina. Hier verstärkt sich sein Augenleiden, doch er malt wie besessen weiter und legt sein eigenes Fühlen, seine Angst und Beklemmung in den Ausdruck seiner Figuren.
Von Messina muss er wegen der unausgesetzten Verfolgung weiter nach Palermo, wo er endlich, nach langer Zeit, etwas Ruhe findet. Doch auch hier wird er gefunden und erneut bedroht. Seine letzten Worte:"…morgen bei Nacht wird´ ich nach Neapel mich einschiffen, als Frater verkleidet, um dem Tode ein Schnippchen zu schlagen…" Doch er soll Neapel nicht lebend erreichen.

Caravaggio wird aus der Feder des Autors immer mehr zum Getriebenen, der zum Ende seines Lebens zunehmend dem Wahnsinn verfällt, weil er der Verfolgung durch "die Schergen des Papstes und der Meuchelmörder des Malteserordens" einfach nicht mehr gewachsen ist.

Hier zieht der Autor eine Parallele vom heutigen Handeln der Mafia zu dem der damaligen Bedränger des Malers. Carlo, ein Unbekannter, der ihm das lange gut gehütete Tagebuch Caravaggios zu Beginn der Geschichte zu lesen gibt, wird selbst sowohl von der Polizei als auch von der Mafia verfolgt und von letzterer schließlich ermordet, wie Camilleri im Laufe seiner Recherchen herausfindet. Dies nimmt er zum Anlass, sein Wissen aus dem Tagebuch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Entstanden ist die in Form eines Krimis geschriebene Erzählung, nachdem Camilleri im Mai 2005 gebeten wurde, für den begleitenden Katalog einer erstmals in Deutschland eröffneten umfassenden Caravaggio-Ausstellung eine Erzählung zu schreiben. Diese sollte nur 15 Seiten umfassen und ist eine Strichfassung der vorliegenden Erzählung geworden, veröffentlicht 2005 in dem Katalog Maler Mörder Mythos Geschichten zu Caravaggio unter dem Titel "Die schwarze Sonne".

AVIVA–Tipp: Das vorliegende, spannend und unterhaltsam geschriebene Werk ist nicht nur für die LiebhaberInnen der Kunst Caravaggios von Interesse. Durch den für den Autor typischen, krimihaften Stil lässt sich das Buch leicht lesen und regt die Phantasie an, insbesondere im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Bilder dieses herausragenden Malers.

Zum Autor: Andrea Camilleri wurde 1925 in Porto Empedocle, Sizilien, geboren. Er ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Bei der RAI, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Italiens, hatte er einst eine auf sechs Monate befristete Stelle angetreten. Er blieb dreißig Jahre, nach 120 Theaterinszenierungen, 80 Fernsehproduktionen und 1300 Regiearbeiten für das Radio. Seit er die Regiearbeit und die bis dahin gepflegte Kunstprosa an den Nagel hängte und sich auf "massentaugliche Literatur" unterschiedlicher Genres verlegte, avancierte der in Rom lebende Sizilianer zu einem der meistgelesenen Autoren Italiens, Seine Montalbano-Krimis haben ihn weltberühmt gemacht. Seit 1998 stürmte jeder Titel des Autors die italienische Bestsellerliste. Mit seinem vielfach ausgezeichneten Werk hat Camilleri sich inzwischen auch einen festen Platz auf den internationalen Bestsellerlisten erobert. Andrea Camilleri ist verheiratet, hat drei Töchter, vier Enkel und lebt in Rom. Weitere Infos und Kontakt: www.andreacamilleri.net

( Quelle: Rowohlt- Verlag / Kindler)

Andrea Camilleri
Die Farbe der Sonne

Kindler Verlag, erschienen: 16. Januar 2010
Hardcover, gebunden 125 Seiten
ISBN-13: 978-3463405322
16,95 Euro


Literatur

Beitrag vom 02.02.2010

AVIVA-Redaktion