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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 25.05.2010


Aharon Appelfeld - Katerina
Adriana Stern

Der Autor erzählt die außergewöhnliche, ergreifende Geschichte der nichtjüdischen achtzigjährigen Katerina, die zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Ukraine aufgewachsen ist und sich an die ...




... langen Jahre des Antisemitismus und der unzähligen Pogrome ihrer Landsleute gegen Juden erinnert. Sie ist eine der Wenigen, die anders ist und die wahrscheinlich deshalb lebenslang niemals wirklich zu jemandem gehörte.

Katerina wächst in einem kleinen unbedeutenden Dorf in der Ukraine auf. Sie weiß nichts vom Leben in der Stadt, von all den Gefahren, denen eine Frau dort ausgesetzt ist. Nur den Antisemitismus, den lernt sie auch hier schon von frühester Kindheit an kennen. Für sie ist es normal, Angst vor Juden zu haben, ihnen nicht zu trauen, sich von ihnen fernzuhalten, so wie es alle im Dorf tun, wenn sie nicht gerade auf die Idee kommen, welche von ihnen zu töten. Eine Tat, die weniger Entscheidung bedarf als die, was es zum Abendbrot geben soll.
Katerina verlässt ihr Dorf nach dem Tod der Mutter und einer versuchten Vergewaltigung durch den Vater. Ihr Weg führt sie in die nächstgrößere Stadt Strasow. Sie ist den Begierden der Männer hilflos ausgeliefert, bis eine Jüdin sie in ihr Haus aufnimmt und Katerina für sie und ihre Familie zu arbeiten beginnt.

Der Antisemitismus, den sie in sich aufgenommen hat wie die Worte der Sprache, die sie in ihrer Kindheit lernte, spukt ihr Tag und Nacht im Kopf herum. Sie fürchtet sich vor ihrem Arbeitgeber und hält sich von der Familie fern. Doch langsam, ganz langsam beginnt sie zu verstehen, zu differenzieren, die jiddische Sprache zu lieben und mehr und mehr Gefallen an der Kultur, den Traditionen und dem Alltag dieses Volkes zu finden.
Viele Jahre lebt sie zerrissen zwischen zwei Kulturen. Katerina verliert im Laufe der Zeit die Angst vor Juden im gleichen Ausmaß, wie sie Angst vor der Kultur ihrer Landsleute entwickelt, die zuerst den Hausherren, dann die Hausherrin töten. Katerina kümmert sich um die beiden Jungen, will sie vor dem Tod bewahren und nimmt sie mit aufs Land.

Eine jüdischen Mutter kann sie den Kindern niemals werden, allein der Gedanke daran ist viel zu verrückt. Und die Kinder jüdisch zu erziehen, das steht ihr einfach nicht zu! Das denken die Leute im Dorf und das Gleiche denken auch die jüdischen Verwandten der beiden Kinder.
Doch dann lernt sie den Juden Sami kennen und wird schwanger. Gegen den Willen des alkoholkranken und gewalttätigen Sami, von dem sie sich trennt, bekommt sie einen Sohn, den sie Benjamin nennt und jüdisch erzieht. Doch eine alleinerziehende Mutter, die Nichtjüdin ist und ihr Kind jüdisch erzieht, ist der Willkür der Bevölkerung hilflos ausgeliefert und ihr Leben und das ihres Sohnes sind täglich bedroht. Als ein Mann aus ihrem Heimatdorf ihr in der Stadt auflauert, sieht Katerina nur noch einen einzigen Ausweg...

Katerina spricht von der ersten Seite an direkt das tiefe Empfinden, die Seele an und lässt die Leserin auf den folgenden 253 Seiten nicht mehr los! Es ist unmöglich, nicht in diese Geschichte einzutauchen, nicht traurig zu werden, schockiert zu sein, wachgerüttelt zu werden, atemlos Katerinas Weg zu folgen, zwischen Hoffen und Bangen schwankend wie die Protagonistin selbst. Es ist unmöglich, diese Frau nicht vor sich zu sehen und sie auf ihrem Weg begleiten zu wollen. Um sie zu schützen, zu trösten, sie zu warnen, mit ihr zu kämpfen, ihr Mut zu machen und... mit ihr zu weinen.

AVIVA-Tipp: Achtzehn Jahre nach der Veröffentlichung dieser ergreifenden, traurig melancholisch und gleichsam kämpferischen Romans in Israel hat der Rowohlt Verlag entschieden, es in deutscher Übersetzung herauszubringen. Eine gute, eine sehr gute Entscheidung! Keine anderen Worte als: Die Geschichte zieht die Leserin von der ersten Seite an in ihren Bann könnten für diesen Roman treffender sein. Ein großer, ein großartiger Roman, der keine bessere Übersetzerin als Mirjam Pressler hätte finden können!

Zum Autor: Aharon Appelfeld wurde 1932 in Czernowitz geboren. Nach Verfolgung und Krieg, die er im Ghetto, im Lager, dann in den ukrainischen Wäldern und als Küchenjunge der Roten Armee überlebte, kam er 1946 nach Palästina. In Israel wurde er später Professor für Literatur. Seine hochgelobten Romane und Erinnerungen sind in vielen Sprachen erschienen, auf Deutsch zuletzt "Bis der Tag anbricht", "Elternland" und "Blumen der Finsternis". Aharon Appelfeld, unter anderem Träger des Prix Médicis und des Nelly-Sachs-Preises, lebt in Jerusalem.

Zur Übersetzerin: Mirjam Pressler geboren 1940 in Darmstadt, wuchs bei Pflegeeltern auf. Sie studierte an der Akademie für Bildende Künste in Frankfurt und Sprachen in München und lebte für ein Jahr in einem Kibbuz in Israel. Zurück in Deutschland arbeitete sie in verschiedenen Jobs, unter anderem führte sie einen eigenen Jeansladen. Sie hat drei inzwischen erwachsene Töchter, die sie nach der Scheidung von ihrem ersten Mann allein großgezogen hat. Heute lebt sie als freie Autorin und Übersetzerin bei München. (Quelle Autorenhomepage von Mirjam Pressler: www.mirjampressler.de)

Aharon Appelfeld
Katerina

Rowohlt Verlag Berlin, erschienen: 12.03.2010
Originalausgabe: Katerina im Verlag Keter Jerusalem 1992
Übersetzung aus dem Hebräischen: Mirjam Pressler
Hardcover, 254 Seiten
ISBN: 978-3871346804
19,95 Euro

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Beitrag vom 25.05.2010

AVIVA-Redaktion