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Beitrag vom 11.06.2010
Birgit Virnich - Ein Fahrrad für die Flussgötter. Reportagen aus Afrika
Claire Horst
Immer noch ist Afrika in den meisten deutschen Medien der unbekannte Kontinent, bestimmt von Hunger und Elend und ein bisschen Folklore. Die Fernsehreportagen der Journalistin Birgit Virnich gehen..
... über diese Stereotype hinaus.
Die in Südafrika geborene Autorin hat fast 40 Länder auf dem afrikanischen Kontinent bereist. Von ihren Erfahrungen, die sie bei der Recherche zu Fernsehfilmen gemacht hat, berichtet sie nun in Buchform. Auch Virnich kommt nicht umhin, von Katastrophen zu erzählen. Doch ist ihr Fokus ein anderer als der übliche. Im Mittelpunkt ihrer Darstellung stehen Menschen, die kämpfen, die sich von den Umständen nicht den Lebensmut nehmen lassen.
In Kibera, dem größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi, trifft sie sich mit Vertreterinnen der "Kibera Women for Peace", einer Frauengruppe, die sich gegen Gewalt einsetzt - gegen staatliche ebenso wie gegen häusliche. Mutig ist das ist einem krisenerschütterten Land, in dem die meisten Frauen Gewalt in der Familie erleben. Und die Treffen der Gruppe verlaufen äußerst unkonventionell: Großmütter und junge Frauen spielen gemeinsam Fußball, um dann in den Spielpausen Geld für Mikrokredite zu sammeln. Nach dem Vorbild indischer Projekte ermöglichen sie sich so gegenseitig, ihre Ziele zu erreichen. Ihr Mut und ihre Power sind beeindruckend - in ihrem Slum haben sie schon einiges erreicht. "James (...) gehörte früher einer Straßengang an. Er schlug sich mit kleinen Diebstählen durch, schlitzte alten Damen in Matatus, den Sammeltaxis, die Taschen auf, klaute Handys oder auch mal einen Fernseher." Heute beteiligt er sich an einem landwirtschaftlichen Projekt auf einer ehemaligen Mülldeponie: "Mit Hilfe der Frauen und Susan Kahambu, einer gelernten Biobäuerin, haben die Jungen ein vernünftiges Bewässerungssystem aufgebaut und verdienen damit mehr als mit ihren Diebstählen." "We can", ist deshalb auch der Schlachtruf der "Fußballomas".
Wie in dieser Geschichte, die auch von Armut und Unterdrückung handeln könnte, gelingt es der Autorin meist, die positiven Aspekte in den Vordergrund zu rücken. Sie interessiert sich wirklich für die Menschen, mit denen sie spricht, sie sind nicht nur InformantInnen. Ohne in Betroffenheit zu verfallen, berichtet sie auch von humanitären Katastrophen, etwa von den unsäglichen Lebensbedingungen, unter denen westafrikanische Flüchtlinge in den Internierungslagern der Nachbarländer leiden. Virnichs Texte sind Reportagen im besten Sinne: Sie erzählen anschaulich und informieren ganz nebenbei über die Hintergründe.
Eine Nigerianerin, die sich gegen ein Scharia-Urteil gewehrt hat und der Steinigung entkam, zeigt Virnich als starke und selbstbewusste Persönlichkeit. Ehemalige KindersoldatInnen präsentieren ihr das "Olympische Dorf von Turalei", in dem die traumatisierten Mädchen und Jungen Sport treiben können. Rapper und Pilger, ÖkoaktivistInnen, Großmütter und Ex-Soldatinnen stehen für einen Kontinent, der kaum vielfältiger sein könnte.
AVIVA-Tipp: Virnichs Reportagen machen Hoffnung auf Veränderung. Vielleicht können die Wunden des Kolonialismus, der Kriege und der Ausbeutung des Kontinents doch verheilen. Die Journalistin hat immer die globalen Zusammenhänge im Blick und ermöglicht es ihren LeserInnen somit, vom häufig herablassenden Blick auf Afrika abzukommen. Der Blick auf Einzelpersonen bereitet der verallgemeinernden Rede vom "schwarzen Kontinent" ein Ende. Virnichs Afrika ist vielfältig, mutig und stark.
Zur Autorin: Birgit Virnich, geboren 1959 in Essen, ging in Südafrika zur Schule und studierte Journalismus, Film und Internationale Politik in Kanada, USA und Großbritannien. 1992 baute sie als Redakteurin das ARD-Morgenmagazin mit auf und war anschließend zwei Jahre Autorin und Redakteurin bei "Monitor". Von 1996 bis 1999 machte sie Filme für die Redaktion "Menschen hautnah" und erhielt für den Dokumentarfilm "Ein Mann sieht braun" den "CIVIS - Europas Medienpreis für Integration und kulturelle Vielfalt". Von 2002 bis 2008 war sie die ARD-Fernsehkorrespondentin für Afrika in Nairobi/Kenia. Ihre gemeinsam mit Bartholomäus Grill verfasste Reportage "Der Krieg der Kinder" wurde 2004 für den Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert, ihr Film "Kongofieber - Mythos eines Stroms" gehörte 2005 zu den Nominierten des Grimme-Preises. 2008 erhielt Birgit Virnich als erste Fernsehjournalistin den "Lorenzo Natali Preis" der EU für mutigen Journalismus. Sie lebt mit ihrer Familie in Köln. (Verlagsinformationen)
Birgit Virnich
Ein Fahrrad für die Flussgötter
Reportagen aus Afrika
Mit einem Vorwort von Anne Will
A1 Verlag, erschienen April 2010
224 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, gebunden
ISBN 978-3-940666-14-7
19,80 Euro
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Dr. Rita Schäfer - Frauen und Kriege in Afrika. Ein Beitrag zur Gender-Forschung
Mariatu Kamara und Susan McClelland - Das Mädchen ohne Hände