Myrthe Hilkens - McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft und Johannes Gernert - Generation Porno. Jugend, Sex, Internet - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 15.07.2010


Myrthe Hilkens - McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft und Johannes Gernert - Generation Porno. Jugend, Sex, Internet
Miriam Hutter

Wir leben in einer "pornofizierten" Gesellschaft: Bilder von (halb-)nackten Frauen, die uns oft gesichtslos von Plakaten entgegenblitzen, sogenannte Pornopartys für Jugendliche, selbstgedrehte ...




...Sexvideos, die per Handy auf Schulhöfen ausgetauscht werden, ganz ´normale´ Schulmädchen, die sich in Internetforen "Pussy, Bitch" oder "Porno Babe" nennen, Strip-Stangen-Sets, die in Amerika in der Kinderabteilung von Supermärkten verkauft werden: der Porno ist mittlerweile im Mainstream angekommen.

Zwei junge AutorInnen haben in diesem Jahr ihre Bücher zu diesem Thema veröffentlicht. Während die niederländische Autorin Myrthe Hilkens in "McSex. Die Pornofizierung unserer Gesellschaft", diese Pornofizierung aus einem feministischen Blickwinkel heraus sehr kritisch betrachtet, versucht Johannes Gernert mit seinem Buch "Generation Porno" weniger ein Urteil zu fällen, als die Gefahren herauszuarbeiten, welche die "Pornografisierung" für die Jugendlichen birgt.

Beide AutorInnen stellen fest, dass die Pornofizierung Männer und Frauen auf unterschiedliche Weise betrifft.
Sind die übersexualisierten Bilder in der Hauptsache auf einen männlichen Blick hin ausgerichtet, so müssen sich Frauen eher damit auseinandersetzen, ob sie (im realen Leben) einem solchen Blick entsprechen wollen.

Hilkens, die das für sich ganz klar mit einem Nein beantwortet, zeigt in ihrem Buch die Schwierigkeiten genauer auf, die sich für Mädchen und Frauen, durch diesen männlichen Blick ergeben. Dieser wird durch Bilder übermittelt, die sich ebenso in der Werbung, in Magazinen, oder Musikvideos zeigen, als auch in den Pornos, die im Internet kursieren. Hilkens stellt dabei "vor allem Genres, Bilder, Musikvideos und Filme in Frage, in denen man das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau mit der Lupe suchen muss, um anschließend festzustellen, dass davon wirklich keine Rede sein kann."
Denn diese medialen Bilder, die durchweg sexuell konnotiert sind, vermitteln höchst problematische Geschlechterrollen: während Männer als Zuhälter, oder Machos dargestellt werden, fungieren die Frauen darin als "reines Lustobjekt für Männer", das diese durch ihre sexuelle Verfügbarkeit und ihre Attraktivität anspricht.

Zwei Möglichkeiten bleiben den Frauen dabei für gewöhnlich, die auch die Journalistin Ariel Levy in "Female Chauvinist Pigs: Women and the Rise of Raunch Culture" beschrieben hat: Entweder sie identifizieren sich selbst mit diesem Blick, in dem sie sich nach dem Motto "If you can´t beat them, join them" beispielsweise mit Männern in Stripclubs amüsieren. Oder sie machen sich selbst zum Objekt, indem sie sich dem "herrschenden Klischee der Weiblichkeit" unterordnen.
Wie problematisch das ist, zeigt Hilkens mit Beispielen aus der gesellschaftlichen Realität in den Niederlanden, den USA und Deutschland. Viel mehr junge Mädchen als noch vor einigen Jahren sind heute unzufrieden mit ihrem Aussehen. So fand die "Dr.-Sommer-Studie 2009 - Liebe! Körper! Sexualität!" heraus, dass 27 % der normalgewichtigen Mädchen gerne schlanker wären.
In den Niederlanden, so berichtete das Amsterdamer Gesundheitsamt 2006, gebe es immer mehr junge Mädchen, die "Alkopop-Sex" betreiben. Das heißt diese Mädchen erweisen ihren Mitschülern sexuelle Dienste, um im Gegenzug Zigaretten, ein Essen, oder Kleidung zu bekommen. Laut einer niederländischen Studie wurden 18 % aller Mädchen zum ersten Sex überredet oder sogar gezwungen.
Auf den niederländischen Schulhöfen ist es mittlerweile scheinbar gang und gäbe, Mädchen LGWs zu nennen: "Lust-, Grapsch- und Wegwerfobjekte."

Die Autorin fordert deshalb vor allem einen neuen Umgang mit den Medien, eine generelle Sensibilisierung für die Wirkung von Bildern und deren Bezug zur Realität.
Eine weitere Möglichkeit sieht sie in "guten Pornos", die nicht darauf basieren, die SexpartnerInnen zu erniedrigen und die ein weitläufigeres Schönheitsbild vermitteln.

Hilkens schreibt in einer sehr lockeren, leicht zugänglichen Sprache, wobei das Buch trotz seiner wissenschaftlichen Untermauerung sehr persönlich gehalten ist. So lässt die Autorin die traurige Geschichte ihrer Großmutter miteinfließen, mit der sie deutlich macht, dass es keinesfalls die Rückkehr in ein prüdes Zeitalter ist, die sie anstrebt.
Ihre eigenen Erfahrungen als Studentin und als Musikjournalistin, die über Hip-Hop-Themen schreibt, werden von Hilkens als eine Geschichte der Bewusstwerdung und über die Mechanismen, die unsere Gesellschaft bestimmen (Sex und Geld) geschildert.
Einigen Kapiteln sind Selbstaussagen von NiederländerInnen vorangestellt, die sich auf verschiedene Weisen mit dem Thema Sexualität auseinandersetzen.

Auch in Johannes Gernerts "Generation Porno" kommen viele subjektive Stimmen zu Wort. Zwischen den beiden radikal entgegengesetzten Standpunkten, die entweder diese Pornografisierung gutheißen, da sie einen unbeschwerteren Umgang mit der eigenen Sexualität ermögliche, oder deren Verdammung, da sie sexuelle Gewalttaten fördere, geht Gernert der Frage nach, welche Auswirkungen die "Pornografisierung" tatsächlich auf die Lebenswelt von Jugendlichen hat.

Für seine Recherchen hat Gernert nicht nur PädagogInnen, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen befragt, sondern sich auch selbst mit den Jugendlichen und ihren Familien unterhalten.
Detaillierter als Hilkens geht Gernert auf den "digital divide", den Digitalen Trennungsgraben ein, der die Eltern von ihren Kindern trennt und macht den LeserInnen deutlich, was es bedeutet, mit Internet und Mobiltelefonen aufzuwachsen.
Gernert ist für seine Recherchen auch in soziale Netzwerke wie Jappy oder SchülerVZ eingetreten. Die stark "sexualisierte Selbstdarstellung", welche die von ihm zitierte Medienwissenschaftlerin Petra Grimm festgestellt hat, konnte er so selbst überprüfen,"Gerade Teenagermädchen präsentieren sich in den Communitys nicht selten in sexy Posen und mit Kussschnuten, wie weibliche Pornostars sie vormachen", stellt Gernert dabei fest.

Gernert bezieht sich zu großen Teilen auf dieselben Studien und Texte wie Hilkens, so beispielsweise die Studienergebnisse der American Psychological Association, des niederländischen Gesundheitsamtes und der "Dr.-Sommer-Studie 2009 - Liebe! Körper! Sexualität!".
Die bekannten Fakten und Zahlen ergänzt der Autor mit Berichten aus der deutschen Medienlandschaft. Kritisch bemerkt Gernert, dass mit TV-Formaten wie "Germany´s Next Topmodel" und "Mission Hollywood", bei denen sich die Mädchen teilweise ausziehen müssen, um ihrem Traum vom Erfolg näher zu kommen, sexuelle Belästigung zum "Unterhaltungsgenre" wird: "Zieh dich aus, sei sexy, dann schauen sie dir zu, dann beachten sie dich", ist die Botschaft, die Mädchen durch die Medien unentwegt suggeriert wird.
In beiden Büchern wird das schiefe Geschlechterbild aufgegriffen, das, immer zu Ungunsten der Frau, in Pornos als auch den Mainstream-Medien ausfällt.

Hilkens und Gernert kommen letztlich zu den gleichen Ergebnissen: dass die pornografisierten Bilder Auswirkungen auf uns alle haben. Anfälliger für eine unreflektierte Übernahme von Verhaltensmustern, die durch die Bilder transportiert werden, sind Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Je behüteter das Umfeld ist, in dem sie aufwachsen, je mehr sie das Gefühl haben mit Eltern und FreundInnen über sexuelle Themen sprechen zu können, desto besser können sich Kinder und Jugendliche von diesen Bildern distanzieren.

Hilkens sieht die Verantwortung vor allem bei den Medien selbst, an die sie sich auch mit ihrem (ebenfalls in dem Buch abgedruckten) Manifest wendet, um Bilder zu fordern, die sich stärker an der Wirklichkeit orientieren.

Beide AutorInnen sehen die Notwendigkeit einer Medienerziehung für Kinder und Jugendliche, sowohl durch das Elternhaus, als auch durch die Schule. Hilkens fordert in ihrem Manifest, das bisher von 10.000 Menschen unterzeichnet wurde, einen festen Platz von Medienerziehung im Schulunterricht, wohingegen Gernert vor allem die Rolle, die den Eltern dabei zukommen sollte betont. "Generation Porno" schließt mit einem Ratgeberteil, der den Eltern in zwanzig Punkten Tipps gibt. Diese reichen von der lockeren Einbindung von Gesprächen über Sexualität in den Alltag, über die richtige Weise Grenzen zu setzen, bis zu der Empfehlung, sich selbst einmal in einem Netzwerk anzumelden.

AVIVA-Tipp: Beide AutorInnen machen deutlich, dass die "Pornofizierung der Gesellschaft" allumfassend ist und nicht nur über die Verbreitung von pornografischen Inhalten im Internet geschieht.
Während Hilkens Buch eher zum politischen Handeln auffordern möchte, um gegen die Pornografisierung vorzugehen, sieht Gernert die Hauptverantwortung mit diesen Bildern umzugehen, bei den Eltern.
Wo Hilkens Buch "McSex" vorrangig für ein weibliches (jüngeres) Publikum geschrieben zu sein scheint, richtet sich Gernert mit "Generation Porno" vor allem an die Eltern und LehrerInnen der heutigen Jugend.
Beide Bücher sind auf jeden Fall uneingeschränkt zu empfehlen!

Zur Autorin: Myrthe Hilkens, Jahrgang 1979, arbeitet als freie Musikjournalistin und als freie Autorin für verschiedene niederländische Zeitungen. In einem Manifest fordert Myrthe Hilkens die Einführung des Faches "Medienerziehung" an Schulen. Es wurde in den Niederlanden bereits von über 10.000 Menschen unterzeichnet. (Quelle: Verlagsinformation)

Zum Autor: Johannes Gernert, geboren 1980 studierte Publizistik und Englisch in Berlin und Nordirland, anschließend besuchte er die Deutsche Journalistenschule in München. Heute arbeitet er als freier Journalist. Seit Jahren recherchiert und schreibt er über Jugendkulturen, das Internet und Pornografie. Er schreibt unter anderem für die "taz" und für "Spiegel Online". (Quelle: Verlagsinformation)




Myrthe Hilkens
McSex
Die Pornofizierung unserer Gesellschaft

Originaltitel: McSex, de pornoficatie van de samenleving, 2008
Aus dem Niederländischen von Cecile Speelman
Orlanda Frauenverlag, 1. Auflage erschienen 2010
Paperback, 208 Seiten
ISBN-13: 9783936937725
18 Euro



Johannes Gernert
Generation Porno
Jugend, Sex, Internet

Fackelträger Verlag, erschienen Februar 2010
Gebunden, 224 Seiten
ISBN 978-3771644390
19,95 Euro

Weiterlesen:

"Dr.-Sommer-Studie 2009 - Liebe! Körper! Sexualität!"

Die Broschüre (120 Seiten) kann angefragt werden bei presse@bravo.de
oder katrin.hienzsch@bauermedia.com



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Beitrag vom 15.07.2010

AVIVA-Redaktion