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Beitrag vom 17.07.2008
Inge Ginsberg - Die Partisanen Villa
Yvonne de Andrés
Mit Musik geht alles besser. Erinnerungen an Flucht, Geheimdienst und zahlreiche Schlager. Im Alter von 86 Jahren erzählt die Jüdin Inge Ginsberg erstmalig ihre außergewöhnliche Geschichte.
Die unbeschwerten Tage für die Tochter aus einer wohlhabenden jüdischen Familie sind 1938 vorbei, als die Wehrmacht in Österreich einmarschiert und der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich erfolgt. Sie schreibt: "Schon am 16. März war Eichmann in Wien eingetroffen und hatte seine `Arbeit´ begonnen. Die Brutalität gegen die Juden setzte schlagartig ein, Misshandlungen, Verhaftungen, Enteignungen, Vertreibung aus den Wohnungen. Viele wurden in Lager geschickt, zumeist nach Dachau." So auch Inges Vater. Ihm begegnet sie erst wieder nach Kriegsende. Für Inge, ihre Mutter und den Bruder wird die Situation in Wien immer bedrohlicher und die Wohnungen immer kleiner bis sie 1939 zusammengepfercht in einem so genannten "Judenhaus" landen. Schritt für Schritt wird ihre Situation schwieriger.
"Nach 1940 war die Musikschule der einzige Platz, wo man noch jung sein konnte. Etwa 200 Teenager und ein Dutzend genialer Lehrer machten Musik, trotz Angst und Schrecken" schreibt Inge Ginsberg rückblickend. Musik ist in ihrem Leben immer wieder ein wichtiger Bezugspunkt.
"Danach kam die Zeit der Illegalität, in der wir als Untergetauchte lebten, um der Deportation zu entgehen (...) Von 1938 bis 1948 überlebten wir in Wien. Im Januar 1942 lebten noch etwa 100.000 Juden zusammengepfercht im Wiener Ghetto. Jeder hoffte davonzukommen" erzählt Inge Ginsberg.
1942 gelang ihr mit der Mutter und ihrem kleinen Bruder, ausgestattet mit falschen Papieren, die Flucht in die Schweiz. Inge Ginsberg hält fest: "Gott sei Dank bin ich in Sicherheit. Dies ist kein Todeslager, dies ist Adliswil bei Zürich, ein provisorisches Auffanglager für Flüchtlinge, Männer und Frauen". Ab 1944 arbeitet sie für den amerikanischen Geheimdienst OSS (Office for Strategic Services). In der schönen "Villa Westphal" am Stadtrand von Lugano gibt sie vor, als hauwirtschaftliche Arbeitskraft tätig zu sein. In Wirklichkeit gehört sie der Gruppe Hausbewohner an, die die französischen und italienischen Partisanen unterstützen. "Zu uns kamen manche, die nur einen Tag blieben, um Geld abzuholen oder Befehle und Pläne. Wenn sie verletzt waren, pflegten wir sie oder, wenn sie etwas Tapferes geleistet hatten, durften sie ein paar Tage bei uns bleiben" schreibt die Autorin über das Leben in der Villa.
Sie wird Zeugin der "Operation Sunrise", bei der die Alliierten heimlich Verhandlungen mit dem SS-General Karl Wolff über eine Teilkapitulation in Oberitalien aufnahmen. Am 19. März 1945 erfolgt die erste Kapitulation. Mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 wird die OSS Organisation und die "Villa Westphal" aufgelöst. Inge Ginsberg arbeitet nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr für den Geheimdienst.
Zur Autorin: Inge Ginsberg, Jahrgang 1922, geboren in Wien, wuchs, wie viele andere junge Mädchen, in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie der damaligen Zeit auf. Sie hatte Musik- und Tanzunterricht, man reiste in die Sommerfrische und hing Walzerträumen nach. Nach dem Krieg begann sie mit ihrem ersten Mann Otto Krollmann eine internationale Karriere als Songwriterin. Sie schrieb für Doris Day, Vico Torriani, Dean Martin (`Try again´) und Nat King Cole (`Merci, merci´). 1958 lernte sie ihren zweiten Mann in Israel kennen. Mit ihrem dritten Mann Kurt Ginsberg startete sie in Ecuador eine weitere Karriere als Journalistin für Schweizer Zeitungen. Mit 86 Jahren hat sie nun ihr erstes Buch veröffentlicht.
AVIVA-Tipp: Der ungebrochene Lebenswille und das Temperament der Inge Ginsberg beeindrucken auch die Leserinnen von heute, die diese Zeit glücklicherweise nicht miterleben mussten.
Inge Ginsberg
Die Partisanenvilla
Erinnerungen an Flucht, Geheimdienst und zahlreiche Schlager.
Herausgegeben von Manfred Flügge
DTV. Deutscher Taschenbuch Verlag, erschienen Juni 2008
Kartoniert, 157 Seiten
ISBN: 9783423246804
13,90 Euro