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Beitrag vom 05.10.2010
Maïssa Bey - Nachts unterm Jasmin. Sous le jasmin, la nuit
Christine Belakhdar
Im Schwellenland Algerien ist die Lage der Frauen im Argen. Einst Mekka für revolutionäre Bewegungen, heute mehr denn je rückwärtsgewandt. Maïssa Bey zeigt mit dem Finger auf die ...
... Unzulänglichkeiten.
Literatur des Schweigens
Maïssa Bey erfindet nicht die Wirklichkeit, sondern reflektiert sie als kritische Beobachterin des Zeitgeschehens. In ihren Erzählungen gibt sie all jenen Frauen eine Stimme, die sich verraten, eingeengt, machtlos fühlen, die auf ihre Art rebellieren oder sich in ihr Schicksal fügen. Sie hat ihnen nichts voraus, weil sie die Frauen kennt, sie in ihrem soziokulturellen Kontext begreift, sie verschmilzt nicht mit ihnen, sondern wahrt den nötigen Abstand, damit wir uns den Protagonistinnen mit Empathie nähern können.
Maïssa Bey ergreift das Wort für die, die keine Antwort auf die Fragen des Lebens haben, die wegen der religiösen, patriarchalischen, juristischen oder staatlichen Gewalt in Algerien zum Schweigen verurteilt sind. Da sinniert die Sterbende über nie erwiderte Liebe des Mannes, der Sohn gewahrt, dass er seine Mutter eigentlich nie gesehen hat, obwohl er sie doch jeden Tag besuchte. Es geht um Besitzansprüche in der Liebe und um ins Leere laufende Dialoge, um Träume von jungen Mädchen, die in einer, sich jeglicher Öffnung verwehrenden Gesellschaft, stets in den beschränkten Kreis ihrer Wünsche und Hoffnungen zurückgedrängt werden.
Grundtenor der Erzählungen ist die fehlende Kommunikation
Die schwierigen Beziehungen und das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Frau und Mann, zwischen Eltern und Kindern, die gesellschaftlich etablierten "non-dits", die gedachten, aber nicht ausgesprochenen Worte erschweren jegliche Verständigung. In der Erzählung "In allen Ehren" wendet sich Maïssa Bey der auch nach der letzten Änderung des algerischen Familiengesetzbuches im Februar 2005 erlaubten Polygamie zu.
"Er sagte mir, ab jetzt muss du lernen, damit zu leben.
Dieses DAMIT saß wie eine Ohrfeige, wurde immer größer und erfüllte den ganzen Raum. Ein zum Platzen aufgeblasener Luftballon.
Das sind seine Worte. Worte, die dem, was ich schon wusste, und was ich nicht wahr haben wollte, eine unerträgliche Realität verliehen. [...] Da hast du nun was du wolltest, nicht wahr, ich hatte dir ja die Wahl gelassen. Seine Stimme durchquerte den Raum zwischen uns, verlor sich in einer Art Nebel und drang schleppend zu mir vor. Doch sie erreichte mich und bahnte sich einen Weg zu dem, was mir noch an Bewusstsein blieb, weil ich seine Worte hörte und verstand. [...] Sehr geschickt, muss ich zugeben. So bin ich also diejenige, die. Ja, alles war geplant [...] er schien dermaßen überzeugt von seinem guten Recht! Hätte ich ihm aufmerksam und respektvoll zugehört, dann hätte ich ihm geholfen, sich aus dieser Beklemmung zu befreien, die mein unvorhergesehenes Verhalten in ihm ausgelöst hatte."
Häufig arbeitet die Autorin mit elliptischen, im Nichts endenden Sätzen. Eine Sprachlosigkeit, der auch wir nichts entgegenzusetzen haben.
Maïssa Bey ist es gelungen, jeder Erzählung ihren eigenen Duktus zu geben, was dem Facettenreichtum des Bandes ein besonderes Gewicht verleiht. Ihr Stil ist mal nüchtern und präzise, dynamisch vorwärtstreibend, mal poetisch verspielt.
AVIVA-Tipp: Maïssa Bey ermöglicht uns einen Einblick in die algerische Gesellschaft, wie er umfassender kaum sein könnte. Doch nicht nur der typisch algerische Blick auf das Fremde dieses fernen, doch so nahen nordafrikanischen Landes macht den Wert des Buches aus, sondern die psychologisch einfühlsam beschriebenen Beziehungen zwischen den Menschen, die auch ganz in unserer Nähe leben könnten: mangelnde Kommunikation, gestörte Generationsbeziehungen, nicht zu überwindende Trauer über den Tod einen geliebten Menschen oder die Enttäuschung über nichterwiderte Liebe. Dennoch ist das Besondere an ihren Erzählungen die Beschreibung dieser mediterranen, mehr und mehr sich orientalisierenden muslimischen Gesellschaft.
Zur Autorin: Maïssa Bey, mit bürgerlichem Namen Samia Benameur, wurde 1950 in der Nähe von Algier geboren. Sie studierte Französisch und arbeitete bis in die 1990er Jahre hinein als Lehrerin, bevor sie sich, neben ihrer Tätigkeit als pädagogische Beraterin, ganz und gar dem Schreiben widmete. Sie ist Mitinitiatorin und Präsidentin des Frauenprojekts "Parole et écriture", einer vom MEDA-Kulturprojekt der EU unterstützten Schreib- und Lesewerkstatt sowie Mitherausgeberin der Zweimonatsschrift "Etoiles d´encre, revue de femmes en Méditerranée" (Verlag Chèvre feuille étoilée, Montpellier), die Gespräche, Erzählungen, Novellen, Tagebuchnotizen und Reisebeschreibungen von Autorinnen aus den Mittelmeerländern veröffentlicht.
Weitere Informationen und Kontakt: www.verlag-kinzelbach.de und www.yedd.org
Maïssa Bey
Nachts unterm Jasmin
Originalausgabe 2004, Sous le jasmin, la nuit.
Éditions de l´aube
Aus dem Französischen von Christine Belakhdar
Donata Kinzelbach Verlag, Mainz, erschienen August 2010
163 Seiten
ISBN- 978-3-927069-98-5
19,80 Euro