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Beitrag vom 27.12.2010
Horror als Alltag - herausgegeben von Annika Beckmann, Ruth Hatlapa, Oliver Jelinski und Birgit Ziener
Britta Meyer
"Buffy the Vampire Slayer" war eine TV-Serie, in der ein junges Mädchen regelmäßig Dämonen und andere Bösewichter verprügelte. So weit, so platt. Aber parallel zu den vordergründigen...
...Erzählsträngen wurden hier im Vorabendprogramm essentielle Fragen kritischer Kulturforschung verhandelt. Die AutorInnen dieses Essaybandes haben sich gefragt, wie weit die MacherInnen in ihrer Unterwanderung des Mainstream gingen und wo sie ihn wieder bedienten. Der wissenschaftliche Versuch, eine Serie ernst zu nehmen, die sich durchgängig selbst parodiert.
"Slayer. Chosen One. Look it up."
Die US-amerikanische Serie "Buffy the Vampire Slayer", die von 1996 bis 2003 in sieben Staffeln ausgestrahlt wurde, kann als eine der erfolgreichsten Fernsehserien der Gegenwart gelten. Das Setting der Geschichte um die jugendliche Vampirjägerin ist auf den ersten Blick ebenso simpel wie albern: Die sechzehnjährige Buffy Anne Summers ist durch eine uralte Fügung dazu auserwählt, sich als Einzige in ihrer Generation den Mächten der Finsternis entgegenzustellen. Mit übermenschlichen Kräften ausgestattet kämpft sie im beschaulichen Städtchen Sunnydale einen wöchentlichen Kampf um die Rettung der Welt vor Vampiren, Dämonen, sinistren KultistInnen, Bürgermeistern mit apotheotischen Ambitionen, an Borderline-Syndrom leidenden Ex-Gottheiten und vielem mehr. Unterstützt wird sie dabei von ihrem Mentor, einer kleinen Gruppe treuer FreundInnen und später auch von ihrer Familie.
"If the apocalypse comes, beep me."
"Buffy" ist eine Serie für Teenager. Aber der Popcorn-Faktor oberflächlichen Spaßes ist nur ein kleiner Teil dessen, was - auch erwachsenen - ZuschauerInnen geboten wird, wenn sie bereit sind, näher hinzusehen. Hier werden neben der mehrfachen Verhinderung drohender Apokalypsen Themen wie Homophobie, Selbstbestimmung, geschlechterspezifische Arbeitsteilung, häusliche Gewalt, Burn-Out-Syndrom, die Ausbeutung von Arbeitskräften und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben verhandelt. All das wird durch knochentrockenen Sarkasmus, skurrile Situationskomik und Dialoge, die zu den witzigsten und selbstironischsten der Fernsehlandschaft gehören, in Szene gesetzt.
Der Umgang mit Realität und dem Irrealen in "Buffy", die provozierende Selbstverständlichkeit, mit der die ProtagonistInnen die Existenz von Bilderbuchmonstern in einer rationalen Welt hinnehmen, die unerklärte Flachheit der meisten dieser Monster, kurz, alles, was an "Buffy" als platt, pubertär und albern kritisiert werden kann, beinhaltet ein enormes Potential an subversiver, zutiefst sarkastischer Gesellschaftskritik.
Die AutorInnen von "Horror als Alltag" widmen sich in neun Essays den Aspekten, die "Buffy" zu einer ergiebigen Quelle nicht nur des Vergnügens, sondern auch der kultur- und sozialwissenschaftlichen Inspiration machen. Sie nehmen sich diesen scheinbaren Teenagerklamauk vor und stellen an diesen Fragen, wie:
Verkehrt das "Buffy"-Spin-off "Angel" den emanzipatorischen Ansatz der Ursprungsserie in sein enttäuschendes paternalistisches Gegenteil?
Wenn die MacherInnen die mit einem Hammer und einer Sichel bewaffnete Buffy eine Gruppe von versklavten ArbeiterInnen zur Revolution gegen ihre dämonischen UnterdrückerInnen aufstacheln lassen, üben sie damit sozialistische Kulturkritik?
Folgt die Darstellung des lesbischen Paars Willow und Tara heteronormativen Stereotypen oder haben die beiden verliebten Hexen Coming-out-Geschichte des Vorabendfernsehens geschrieben?
Zeichnet die Folge "Restless" ein psychoanalytisch verpacktes, mit Referenzen aus der Literaturwissenschaft gespicktes Bild des Aufeinanderprallens von Mythos und Realität in der symbolbelegten Welt der Postmoderne?
Zu den HerausgeberInnen:
Annika Beckmann ist 1973 in Wickede geboren, studierte in Hannover und Berlin Philosophie, Informatik und Literaturwissenschaft. Zurzeit arbeitet sie als freie Lektorin und Dozentin in Berlin. Seit 2000 ist sie Buffyfan.
Ruth Hatlapa geb. 1980 in Bremen, studierte Kulturwissenschaften, Politikwissenschaften und Neuere Geschichte in Berlin. Seit 2008 arbeitet sie in der politischen Bildungsarbeit zu Rassismus und Antisemitismus. Sie interessiert sich außerdem sehr für US-amerikanische Serien, insbesondere für Buffy.
Oliver Jelinski geboren 1975, studierte Philosophie und Informatik in Hannover und Berlin. Schreibt neben seiner Lohnarbeit unregelmäßig in linken Publikationen über Ideologie und Ideologietheorie. Arbeitet an einem Projekt zur Gegenwart Neuer Musik, vorher Buffy.
Birgit Ziener 1977 in Dresden geboren, studierte in Berlin vor allem Literaturwissenschaft. Arbeitet seitdem als freie Autorin, Dozentin und Deutschlehrerin in Berlin und andernorts. Buffyfan.
(Quelle: Verlagsinformation)
AVIVA-Tipp: "Horror als Alltag" analysiert die komplexen Verknüpfungen sozialkritischer und satirischer Ansätze hinter einem extrem erfolgreichen Produkt der Kulturindustrie. Die AutorInnen behandeln die Serie nicht einfach als die plakativ-feministische Botschaft vom Mädchen, das nicht beschützt werden muss, sondern sich selbst und andere schützen kann. Sie verfolgen den Subtext konsequent und reflektiert und bieten damit erwachsenen LeserInnen den Anspruch, den ein raffinierter, hintergründiger Spaß wie "Buffy" verdient.
Horror als Alltag. Von Annika Beckmann, Ruth Hatlapa, Oliver Jelinski und Birgit Ziener (Hrsg.)
Verbrecher Verlag, 2010
256 Seiten
14,00 Euro
ISBN: 978-3-940426-52-9
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.verbrecherverlag.de