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Beitrag vom 27.12.2010
Marcia Pally - Die neuen Evangelikalen in den USA
Britta Meyer
Die amerikanische Kulturwissenschaftlerin stellt in ihrem neuen Buch die These auf, dass Religionen ein demokratisches und liberales Gemeinwesen unterstützen und stabilisieren können. Sie zieht...
...als Beleg dafür das Beispiel der "Neuen Evangelikalen" in den USA heran.
Diese sind zwar fromm, aber nicht fundamentalistisch, dabei aus religiösen Gründen oftmals progressive UmweltaktivistInnen und UnterstützerInnen der Politik Barack Obamas. Pallys Einschätzung nach gehören 20 bis 25 Prozent der US-Bevölkerung zur Bewegung. In Abgrenzung zu den traditionellen Evangelikalen und der religiösen Rechten lehnen sie eine konsumistische und militaristische Haltung ab und engagieren sich stattdessen für Armutsbekämpfung, Diplomatie und Umweltschutz. Ihre Definition der christlichen Person als DienendeR am Mitmenschen beinhaltet ein hohes Maß an Eigenverantwortung für die Errichtung einer sozialverantwortlichen Gesellschaft. Wenn Staat und Kirche getrennt bleiben, dann können religiöse Menschen sich hinsichtlich der Umsetzung von Mitgefühl und Nächstenliebe nicht auf den Staat verlassen, sondern müssen selbst aktiv werden. Darum, so Pally, begreifen sich die Neuen Evangelikalen als zivilgesellschaftliche AkteurInnen, die sich für soziale und karitative Zwecke einsetzen.
Pally hat in ihrer Zusammenschau dieser Bewegung verschiedenste neu-evangelikale Gruppierungen innerhalb der USA auf ihre Positionen zu einer Reihe Streitfragen hin untersucht, wie z.B. der Trennung von Staat und Kirche, Homosexualität, Kreationismusunterricht an öffentlichen Schulen, Abtreibung und der Rechtfertigung von Angriffskriegen. Sie führte Interviews, analysierte Predigten, verfolgte Blogs und las evangelikale Bestseller. Die Ergebnisse dieser Feldforschung stellt sie in mehreren Tabellen dar, welche die jeweiligen Standpunkte der einzelnen Strömungen zu den erwähnten Fragen skizzieren und einen hilfreichen Überblick über einen komplexen und verwirrenden Diskurs unserer Zeit bieten.
Die neue Generation US-amerikanischer ChristInnen mögen in vieler Hinsicht progressive und altruistische Ziele verfolgen. Auch die Annahme der Verantwortung von Einzelnen für eine bessere Gesellschaft und die Akzeptanz nicht-christlicher Religionen als zu respektierende Wege der Spiritualität sind erfreulich. Bestehen bleibt jedoch die mehrheitlich ablehnende Haltung der Neuen Evangelikalen zu Abtreibungen und der Homosexuellen-Ehe, sowie die Befürwortung des Rechtes auf berufliche Leistungsverweigerung aus religiösen Gründen. Letzteres bedeutet in der Praxis zum Beispiel, dass in den USA bereits in drei Bundesstaaten Gesetze verabschiedet wurden, die ApothekerInnen erlauben, aus moralischen Bedenken die Herausgabe von Verhütungsmitteln und der Pille danach zu verweigern. Im Jahr 2004 weigerte sich in Texas ein Apotheker aus "Gründen der Religion", einer vergewaltigten Frau die Pille danach zu geben. Er wurde dafür von seinen ArbeitgeberInnen entlassen. Eine rechtliche Legitimation seines Verhaltens wäre in keiner Hinsicht ein Zugewinn für eine demokratische, freiheitliche Gesellschaft. Auch die gewaltfreie, "liebevolle" Haltung der Neu-Evangelikalen gegenüber Homosexuellen bleibt eine unerträgliche, wenn sie das Verhalten Jesus nachahmen soll, der "Aussätzige und Gelähmte heilte und die meiste Zeit mit den von der Gesellschaft Ausgestoßenen seiner Tage verbrachte".
AVIVA-Fazit: Marcia Pally bietet den LeserInnen eine fundiert recherchierte und informative Übersicht über die aktuelle christlich-religiöse Landschaft innerhalb der USA. Sie legt fundiert und überzeugend dar, warum die neuen ChristInnen, bei weiterhin bestehender Trennung zwischen Kirche und Staat, ein Gewinn für die Innen- und Außenpolitik Amerikas sein können und wie die USA von deren Werten profitieren kann. Dennoch muss mensch nicht mit ihr übereinstimmen, wenn es um die - zugegebenermaßen zutiefst europäische – Abneigung gegenüber Religionen geht, welche die Entscheidungen von Staatsmächten, auf welche Art auch immer, beeinflussen.
Zur Autorin: Marcia Pally ist Professorin für Kulturwissenschaft an der New York University. Von ihr erschienen sind auf Deutsch bereits "Lob der Kritik. Warum die Demokratie nicht auf ihren Kern verzichten darf", "Warnung vor dem Freunde. Tradition und Zukunft US-amerikanischer Außenpolitik" und "Die hintergründige Religion. Der Einfluß des Evangelikalismus auf die US-amerikanische Politik". Auf Deutsch publiziert sie regelmäßig für "Cicero", die "Frankfurter Rundschau", "Die Zeit" und die "TAZ".
Marcia Pally
Die neuen Evangelikalen in den USA. Freiheitsgewinne durch fromme Politik
354 Seiten, gebunden
Berlin University Press, erschienen September 2010
ISBN 978-3-940432-93-3
29,90 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter:
Firings In Morning-After Pill Flap auf CBS News
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