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Beitrag vom 29.12.2010
Technologisierung gesellschaftlicher Zukünfte – herausgegeben von Petra Lucht, Martina Erlemann, Esther Ruiz Ben
Britta Meyer
Nanotechnologien sind keine Science-Fiction mehr. Sie werden bereits in vielen Bereichen des Alltags eingesetzt, ohne dass VerbraucherInnen genau wissen, was davon zu halten ist. Was ist Nano?
Welche Hoffnungen und Befürchtungen fördern oder hemmen die Entwicklung dieser Wissenschaften? Und was hat das alles mit Geschlecht zu tun? Eine transdisziplinäre ForscherInnengruppe hat Bearbeitungen dieser Fragen in einem Band zusammengestellt.
Das Kleinste unter den Kleinen
Aber was ist das eigentlich? Der Begriff "Nano" stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet "Zwerg", in den Naturwissenschaften bezeichnet er die Maßeinheit des Milliardstels, ein Nanometer ist also ein Milliardstel Meter. Als Nanotechnologie wird die Forschung in der Clusterphysik und der Oberflächenphysik, der Oberflächenchemie, der Halbleiterphysik und in Teilbereichen des Maschinenbaus und der Lebensmitteltechnologie bezeichnet, die sich in der Größenordnung vom Einzelatom bis zu einer Strukturgröße von 100 Nanometern (nm) bewegen.
Die AutorInnen beleuchten in neun Aufsätzen die Verflechtungen von Nanotechnologie und anderen Naturwissenschaften, wie zum Beispiel der Toxikologie. Sie stellen die gegenseitigen Beeinflussbarkeiten von Wissenschaft und Ökonomie heraus, analysieren den Dialog zwischen WissenschaftlerInnen und KonsumentInnen und skizzieren die Erwartungen, die seitens der VerbraucherInnengesellschaft an die Nanotechnologien gestellt werden. So stammt die Imagination winziger, nano-gesteuerter U-Boote, die durch den menschlichen Blutkreislauf fahren und dort chirurgische Kleinstarbeit leisten, zwar aus dem Bereich der Science-Fiction-Literatur, bedingt aber durch diese einmal geschaffenen Bilder nachhaltig die Erwartungen und Ziele, die in die Entwicklung der entsprechenden Technologie gesetzt werden.
Nano, Geschlecht und Gesellschaft
Die Einbindung von Nanoprodukten in soziale Handlungskontexte und die Frage, inwieweit diese zum (Un-)Doing von Gender beitragen können, bildet einen weiteren Ansatzpunkt der kritischen Diskurslektüre. So wird die Verteilung von Männern und Frauen in den die Nanowissenschaften betreffenden Studiengängen und den beruflichen Positionen, welche dann die Richtung der Forschung definieren, ebenso hinterfragt, wie die möglichen Auswirkungen der Nanotechnik auf die menschliche Reproduktion und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung.
Doch die Naturwissenschaften bringen die Nanotechnologie nicht im Alleingang, sondern im Dialog mit der Gesellschaft hervor, für die sie sie produzieren. Dem praktischen Einsatz von Nanotechnologie wird seitens der Bevölkerung allerdings ambivalent begegnet. So wird die Verwendung synthetischer Nanopartikel für medizinische und umwelttechnische Zwecke befürwortet, im Rahmen der Lebensmittelproduktion jedoch abgelehnt. Trotz vielfach vorgebrachter Proteste besteht (noch) keine Kennzeichnungspflicht für Nahrungsmittel, die mittels Nanotechnologie hergestellt wurden und die gegebenenfalls künstliche Nanopartikel enthalten.
Zu den Herausgeberinnen:
Petra Lucht ist Diplom-Physikerin, promovierte Soziologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) an der Technischen Universität Berlin. Martina Erlemann, Dr. phil., Physikerin und Soziologin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg, sowie am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Universität Klagenfurt. Ihre Forschungsgebiete sind Wissenschafts- und Techniksoziologie und Geschlechterforschung. Esther Ruiz Ben ist wissenschaftliche Assistentin im Institut für Soziologie der Technischen Universität Berlin.
AVIVA-Tipp: Manche der vorgestellten Texte umkreisen ihre gesetzte Fragestellung, ohne dabei zu einer konkreten oder auch nur die Diskussion weiterführenden Antwort kommen zu können. Die meisten Aufsätze bieten jedoch Einblicke in verschiedenste, spannende Herangehensweisen an ein Thema, das inzwischen schon lange keine Science-Fiction mehr ist. Die einzelnen Beiträge sind nicht für ein populärwissenschaftlich interessiertes Publikum geschrieben, sondern sie richten sich an LeserInnen aus der (feministischen) Naturwissenschaftsforschung und der Sozialwissenschaft, die über terminologische Vorkenntnisse verfügen. NanowissenschaftlerIn muss mensch jedoch zur erfolgreichen Lektüre nicht sein.
Petra Lucht, Martina Erlemann, Esther Ruiz Ben (Hrsg.)
Technologisierung gesellschaftlicher Zukünfte.
Nanotechnologien in wissenschaftlicher, politischer und öffentlicher Praxis
Centaurus Verlag, 1. Auflage, erschienen im Juni 2010
Broschiert, 188 Seiten
ISBN: 978382550756
25,50,- Euro
www.centaurus-verlag.de