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Beitrag vom 24.03.2011
David Albahari - Die Kuh ist ein einsames Tier
Anna Hohle
"A book with very short stories and long silences" nennt der serbisch-jüdische Autor sein im Februar 2011 bei Eichborn erschienenes Buch, das ausgewählte Kurzgeschichten und Aphorismen der letzten...
... dreißig Jahre erstmals in deutscher Sprache versammelt.
David Albahari ist Sprachskeptiker. Und er ist Schriftsteller: ein Beruf, der wie kein anderer auf die Präsenz und Verlässlichkeit der Worte angewiesen ist. Dieses Paradoxon bildet die Grundlage seines Schreibens und in jedem seiner Werke findet er einen neuen Weg, ihm zu begegnen.
Seine Romane, in denen er Zustand und Krisen serbischer Gegenwart beschreibt, täuschen oftmals eine lineare Erzählweise vor, die der Autor in Wahrheit subtil dekonstruiert. Tatsächlich umkreisen seine Geschichten ihre Materie in obsessiven Monologen: die Ungreifbarkeit des Grauens der Shoah in Götz und Meyer, die Ohnmacht des Einzelnen vor den politischen Entwicklungen kurz vor der NATO-Bombardierung Belgrads in Die Ohrfeige, die Eitelkeiten und Abgründe einer Schriftsteller-Freundschaft in Ludwig. Gebannt und atemlos verfolgen die LeserInnen die Verstrickungen seiner Protagonisten. Albahari spielt geschickt mit ihren Erwartungen und zeigt dabei immer wieder die Verführungskraft der Worte auf.
Während seine Romane oftmals auch eine politische Dimension besitzen, vereint Die Kuh ist ein einsames Tier wie schon Fünf Wörter jene Kurztexte des Autors, die originell und tiefgründig das reine Spiel mit den Mitteln der Sprache vorführen. Jedes Wort seiner teils nur wenige Zeilen umfassenden Aphorismen ist mit Bedacht gewählt. Was gesagt wird, verweist in seiner Prägnanz immer auch auf das, was nicht gesagt wird, so dass jeder Absatz, jede Wortpause eine Bedeutung erhält. Wie so oft bei Albahari wird das Schweigen thematisiert und mit ihm die Grenzen der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten frei nach Ludwig Wittgenstein. "Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen". Bei Albahari liest sich das so:
"richtig [sind] allein die Wörter […], die nicht ausgesprochen werden, wie eben diese hier, die ich schweigend aufschreibe in der Hoffnung, dass sie genauso schweigend gelesen werden, also in der Stille, obwohl auch Stille nur ein Wort ist, ein Wort, das unzählige Male wiederholt wird, jedes Wort, jedes beliebige Wort ist Stille".
Aber wer kann jenem Spiel mit der Sprache eine politische Dimension abstreiten? Nicht erst seit Ludwig verweist Albahari in seinen Erzählungen immer wieder mehr oder weniger offensichtlich auf den großen Denker und Begründer der analytischen Sprachphilosophie, für den sämtliche sprachliche Äußerungen erst in ihrer tätigen Verwendung eine Bedeutung bekommen. Worte allein sind nichts. Sie werden mit Gehalt aufgeladen nach der Art und Weise, wie wir sie verwenden. In dieser schlichten Wahrheit sind all ihre Möglichkeiten und all ihre Gefahren verborgen. Albahari misstraut dem absichtsgeleiteten Schreiben. DichterInnen sollen keine Ideologien propagieren. Stattdessen vertraut er auf mündige LeserInnen, die seine Reflexionen über das Erzählen als das begreifen, was sie sind: ernste und komische, schlaue und hintergründige Übungen im (sprach)kritischen Denken.
AVIVA-Tipp: Albahari ist einer jener seltenen Autoren, die atemlos spannende und gleichzeitig kluge und tiefgründige Romane schreiben. Auch seine Kurzprosa ließe sich durchaus als rein unterhaltende Lektüre konsumieren: die Texte sind amüsant, überraschend und kurzweilig. Daneben stellen sie jedoch immer auch kleine sprachliche Kunstwerke dar, die geistreich über die Grenzen der Worte und des menschlichen Verstehens reflektieren.
Zum Autor: David Albahari stammt aus einer serbisch-jüdischen Familie und wurde 1948 in Peć im ehemaligen Jugoslawien geboren. Nach seinem Studium der Englischen Literatur und Sprache veröffentlichte er 1973 seine ersten Kurzgeschichten. Sein 1996 erschienener Roman Mutterland machte ihn international bekannt. Albahari wurde unter anderem mit dem Ivo Andrić-Preis, dem NIN-Preis, dem Balkanica-Preis und dem Brücke-Preis-Berlin ausgezeichnet. Sein Werk umfasst neun Kurzgeschichtensammlungen und elf Romane, seine Bücher wurden in 16 Sprachen übersetzt. Albahari selbst wiederum übersetzte bekannte englischsprachige AutorInnen wie John Updike und Sarah Kane ins Serbische. Albahari war Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden Jugoslawiens und organisierte in den 90er Jahren die Aussiedlung von Juden aus Sarajewo während des Bosnienkrieges. Seit 1994 lebt der Autor in Calgary, Kanada. Auf deutsch erschienen unter anderem seine Romane Mutterland, Götz und Meyer, Die Ohrfeige und Ludwig sowie die Erzählsammlung Fünf Wörter.
(Quellen (Biographie):) Eichborn-Verlag, www.zeit.de)
Weitere Infos und Kontakt unter: www.davidalbahari.com
David Albahari
Die Kuh ist ein einsames Tier. Kurze Geschichten und dauerhafte Wahrheiten über Liebe, Traurigkeit und den ganzen Rest
Eichborn, erschienen Februar 2011
Hardcover, 144 Seiten
ISBN 978-3821861531
16,95 Euro
www.eichborn.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
"AVIVA-Interview mit David Albahari im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2011"