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Beitrag vom 12.04.2011
Special - Neue Bücher aus Afrika im Frühjahr 2011
Claire Horst
Hierzulande werden sie viel zu häufig übersehen: spannende und vielseitige Romane aus Afrika. Doch bei aller kulturellen und sprachlichen Vielfalt haben diese Werke eins gemeinsam: Sie haben...
... allesamt mehr Aufmerksamkeit verdient.
AVIVA-Berlin präsentiert daher in loser Folge eine Auswahl von Neuerscheinungen aus Afrika. Sie steht nicht repräsentativ für die Vielzahl von Werken aus dem afrikanischen Kontinent, sondern soll lediglich neugierig machen auf die Literaturen, die zwischen Algerien und Südafrika, zwischen Mauretanien und Äthiopien geschrieben und gelesen werden.
Abdurahman A. Waberi - Tor der Tränen
Zu den bekannteren Autoren Afrikas gehört der in Dschibuti geborene Abdourahman A. Waberi. Für sein Werk hat er zahlreiche Preise erhalten, seine Romane wurden in zwölf Sprachen übersetzt. Die französische Literaturzeitschrift "Lire" zählte ihn 2005 zu den "50 SchriftstellerInnen der Zukunft". Schon Waberis Roman "In den Vereinigten Staaten von Afrika" machte deutlich, dass der Autor eine politische Botschaft hat. Indem er die globale Machtverteilung umkehrt, verdeutlicht er deren Absurdität und regt zu einer Hinterfragung der gängigen Stereotype über Afrika an.
Auch der jetzt auf Deutsch erschienene Roman "Tor der Tränen" stellt allzu einseitigen Sichtweisen ein vielschichtiges Bild gegenüber. Seine beiden Erzählstimmen stehen für konträre Lebensentwürfe: Dschibril lebt in Kanada und ist im Auftrag einer Sicherheitsfirma in sein Herkunftsland Dschibuti zurückgekehrt. Für seinen Zwillingsbruder Dschamal ist er damit zum Verräter geworden. Denn Dschibril ist ein fanatischer Glaubenskrieger. Mit seinem religiösen Führer sitzt er im Hochsicherheitstrakt einer Gefängnisinsel, von wo aus er über Mitarbeiter jeden Schritt seines Bruders verfolgt.
Die Auftragsarbeit wird für Dschibril zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Dass sein bester Jugendfreund David Jude war und wohl wegen des damals grassierenden Antisemitismus verschwand, wird ihm jetzt erst klar, und auch mit Geschehnissen in der eigenen Familie hat er sich bislang kaum beschäftigt. Zu intensiv möchte er sich damit jedoch nicht auseinandersetzen. So ist er vollauf damit beschäftigt, sich die vielen Bittstellerinnen vom Leib zu halten, die sich von ihm Unterstützung erhoffen. Sein Desinteresse am Schicksal Verwandter und Bekannter macht ihn kaum zu einem Sympathieträger.
Und auch Dschamal, der in seiner Gefängniszelle am Schicksal seines Bruders feilt, ist keine Identifikationsfigur. Nachvollziehbar wird sein Hass auf Dschibril und alles, wofür dieser steht, allerdings durchaus. Gekonnt spielt Waberi mit den Identitäten, wechselt die Erzählstimmen und erschwert es seinen LeserInnen, eindeutig Position zu beziehen.
Dass Dschamal durch Zufall an ein sechzig Jahre altes Journal gerät, erweitert das Spiel um Identitäten noch um eine weitere Stimme: In den Aufzeichnungen wird die Flucht des Philosophen Walter Benjamin vor den Nazis geschildert.
AVIVA-Tipp: Waberis Roman ist eine gelungene Auseinandersetzung mit den ungebrochenen Wirkungen des Kolonialismus, dem Widerstreit von Religion und Modernisierung, und der Suche nach einer eigenen Identität in einer sich dramatisch verändernden Welt. Dabei überzeugt "Tor der Tränen" allerdings weniger auf der literarischen Ebene als auf der theoretischen. Zu ungenau sind seine Figuren ausgeführt, zu wenig geben sie von ihrem Innenleben preis, sodass sie etwas leblos bleiben.
Zum Autor: Abdourahman A. Waberi wurde 1965 in Dschibuti geboren. Nach seinem Studium der englischen Literatur lehrt er heute als Professor am Wellesley-College nahe Boston; von 2006-07 war er Gast des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin. Waberi gilt als Nationalschriftsteller Dschibutis. Sein Roman "Cahier nomade" wurde mit dem "Grand prix littéraire d´Afrique Noire" ausgezeichnet. (Verlagsinformationen)
Mehr Informationen zum Autor unter: www.abdourahmanwaberi.com
Emmanuel Dongala - Gruppenfoto am Ufer des Flusses
Steine klopfen, bis sie vor Erschöpfung kaum noch stehen können, Kinder alleine großziehen und ganz nebenbei noch kranke Familienangehörige pflegen - mit ihrem harten Schicksal haben sich die Frauen am Fluss abgefunden. Tag für Tag kämpfen sie ums Überleben, indem sie Felsbrocken zu Schotter verarbeiten, den sie dann verkaufen. Auch Méré, die eigentlich studieren wollte, schlägt sich hier durch. Schließlich hat sie neben den beiden eigenen Söhnen noch das Baby ihrer an AIDS verstorbenen Schwester zu versorgen.
Zuviel wird es den Frauen erst, als aufgrund eines Baubooms die Preise steigen - und bei ihnen nichts davon ankommt. 20.000 statt 10.000 Francs fordern sie jetzt für einen Sack Schotter. Dafür arbeiten sie schließlich mindestens eine Woche lang. Ihr Kampf um einen gerechten Lohn lässt sie zum ersten Mal zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen. Und aus der bescheidenen Forderung der 15 Frauen wird bald eine politische Auseinandersetzung. Denn nachdem die Polizei für Ruhe auf dem Steinbruch gesorgt und eine von ihnen ins Krankenhaus geprügelt hat, ist die Geduld der Frauen am Ende.
Sie wollen sich nicht mehr unterdrücken lassen, lassen sich aber auch nicht von der Opposition für ihre Zwecke einspannen. Dabei bleiben sie nicht allein. Ihr Mut führt dazu, dass sich zahlreiche Frauen und Männer anschließen. Selbst das Fernsehen wird auf ihren Protest aufmerksam. Dass genau zur gleichen Zeit eine Konferenz der afrikanischen Präsidentengattinnen in der Stadt stattfindet, wird ihr größter Trumpf. Denn an einem öffentlichen Aufstand hat niemand Interesse.
Für Méré geht es um mehr als nur den eigenen Arbeitskampf. Anders als die meisten ihrer Kolleginnen kennt sie auch ein anderes Leben. Sie ist hier, um schnell Geld für eine Ausbildung zu verdienen, die meisten der Steineklopferinnen werden hier den Rest ihres Lebens verbringen. Weil Méré die Macht des Geldes, die Verlockungen der Korruption nur zu leicht an sich selber spürt, kämpft sie umso mehr um Gerechtigkeit:
"Das ist also die Macht! Du schließt die Augen und atmest tief den Ledergeruch der Sitze ein. Du genießt die Kühle der Klimaanlage. Keine Steine, die geklopft werden müssen, kein Staub, keine sengende Sonne, kein Schweiß… Du verstehst jetzt, warum in einem armen und überdies völlig korrupten Land wie dem deinen die Menschen sich nicht nur an die Macht klammern, sondern auch bereit sind zu töten, um an der Macht zu bleiben. Du verstehst, warum die Hotels zu dreitausend Dollar die Suite… warum der Champagner zu hundertfünfzig Dollar und die Mätressen…"
Jeden Morgen hört sie im Radio die Horrornachrichten aus der ganzen Welt. Um gesteinigte, ermordete, vergewaltigte Frauen geht es da, ebenso wie in ihrer Realität. Die Frauen vom Steinbruch haben Bürgerkrieg und Verstoßung durch geldgierige Verwandte überlebt, wurden von den eigenen Kindern der Hexerei beschuldigt oder von ihren Vergewaltigern geschwängert. Ohne den Zusammenhalt untereinander könnte keine von ihnen überleben. Auch Méré ist von ihrem Partner enttäuscht worden. Doch Dongala zeichnet keineswegs ein simples Bild von bösen Männern und guten Frauen. Auch seine weiblichen Gestalten sind zum Teil korrupt, eifersüchtig und unfair, kämpfen manchmal gegen- statt miteinander, Von den Männern unterscheiden sie sich vor allem durch ihre größere Verletzlichkeit - und zugleich durch ihre größere innere Stärke.
AVIVA-Tipp: Die Figuren Dongalas zeugen von seiner Hochachtung vor der Leistung der Frauen in einer von Männern dominierten Welt. Nicht ganz überzeugend sind in diesem feministischen Werk allerhöchstens die Momente, in denen der Autor die Sexualität seiner Heldin beschreibt. Bestechend ist aber vor allem Dongalas ungewöhnliche Erzählperspektive. In der zweiten Person erzählt er, sodass die Leserin sich unaufhörlich angesprochen fühlt – die Identifikation mit Méré gelingt so problemlos. "Gruppenfoto am Ufer des Flusses" stimmt wütend und fassungslos. An die Solidarität, den Mut und die Kraft dieser Frauen möchte man nur zu gern glauben.
Zum Autor: Emmanuel B. Dongala wurde 1941 in Alindao (Zentralafrika) geboren. Er studierte in Frankreich und in den USA und war bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges Chemieprofessor an der Universität von Brazzaville. 1998 fand er in den USA Asyl, wo er seitdem Chemie und afrikanische Literaturwissenschaft lehrt. Für den Roman "Kinder von den Sternen" erhielt er den renommierten Preis "Temoin du Monde" von Radio France. (Verlagsinformationen)
Emmanuel B. Dongala
Gruppenfoto am Ufer des Flusses
Aus dem Französischen von Giò Waeckerlin-Induni
Peter Hammer Verlag, erschienen am 15. März 2011
340 Seiten, gebunden
22 Euro
ISBN 978-3-7795-0314-9
Abdourahman A. Waberi
Tor der Tränen
Aus dem Französischen übersetzt von Katja Meintel
Deutsche Erstausgabe
Gebunden mit Schutzumschlag, 160 Seiten
Nautilus Verlag, erschienen im März 2011
16 Euro
ISBN 978-3-89401-734-7
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