Nathalie Percillier - in the milk. Die Abenteuer einer Kuh von schlichtem Gemüt - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 24.08.2011


Nathalie Percillier - in the milk. Die Abenteuer einer Kuh von schlichtem Gemüt
Lisa Scheibner

Ute und ihre pubertierende Kuh Sylke kämpfen für Tierrechte, während Utes Beziehung zu Jeanne an deren Leidenschaft für die mysteriöse Lucy Fair leidet, die ihre plastikfressenden Gen-Kühe...




...nicht mehr im Griff hat. Percillier adaptiert das Genre Kopfkino für ihr preisgekröntes und noch immer nicht verfilmtes Drehbuch, und dort ist alles möglich! Wie all ihre Filme ist auch dieses Projekt in enger Zusammenarbeit mit ihrer Partnerin Lily Besilly entstanden.

Roadmovie mit Kuh

In "in the milk" begegnen wir Ute und Jeanne, die seit Jahren als Paar nahe einer großen, grauen Hafenstadt im Norden leben und mitten in einer Beziehungskrise stecken. Jeanne wird immer gleichgültiger Ute gegenüber, woran sicherlich auch deren Hingabe zu ihrer Kuh Sylke einen Anteil hat. Als Ute beim Preissauschreiben der Zeitschrift "Leben mit Kühen" eine Reise gewinnt, kommt Bewegung in die ganze Geschichte und das Abenteuer mit Kuh beginnt.

Jeanne und Ute lernen die mysteriöse Lucy Fair kennen, deren fataler Ausstrahlung Jeanne sofort verfällt. Die Nobelpreisträgerin hat Plastik fressende Recyclingkühe erschaffen, aber nicht nur Ute ist sich bald nicht mehr sicher, ob Lucy all die Anerkennung überhaupt verdient hat. Folgt sie nicht eigentlich skrupellos ihren persönlichen Karriereplänen und instrumentalisiert alle um sich herum?

Und dann gibt es natürlich noch die genmanipulierten Kühe in Lucys angsteinflössendem Labor, die sich wild gebärden. Sind deren geschwollene Hirne tatsächlich der Auslöser für ihre Rage oder protestieren sie vielmehr gegen die grausigen Versuche, die an ihnen unternommen werden?
Ute hat ihren großen Auftritt mit einem magischen Amulett, das mit seiner Melodie Kühe besänftigt. Aber nun, da sie an Bedeutung gewonnen hat, lässt sich nicht mehr alles gefallen...

Kopfkino vom Feinsten

Percillier lässt in ihrem imaginären Film verschiedenste Genres mühelos ineinander übergehen: Vom urbanen Beziehungsdrama über eskapistische Musical-Einlagen und magische Bollywood-Tanzszenen im Bauch eines Flugzeugs bis zum ökologischen Science-Fiction ist alles dabei, und das macht Spaß.

Percilliers wunderbar anarchische Zeichnungen sind eine zusätzliche Bereicherung dieser Geschichte zwischen trashigem Science-Fiction-Heimatroman und Roadmovie. Sie sind auf den ersten Blick so simpel und (überwiegend) Schwarz-Weiss wie die Story bunt und kompliziert ist, doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich hier die ganze Dramatik.

Ohne in Percilliers weitere Pläne pfuschen zu wollen, ist "in the milk" vielleicht gerade als imaginiertes Kino genial, wo man alle Drehorte und DarstellerInnen parat hat, ohne mit der Wimper zu zucken.

AVIVA-Tipp: Kopfkino vom Feinsten! Die Heldinnen Ute, Jeanne, Lucy und alle anderen kämpfen für ihre jeweiligen Überzeugungen und wir sind bei dem trashigen Drama live dabei, denn wir müssen es uns selber vorstellen. Percillier nutzt das aus, indem sie mit verschiedenen Genres spielt und eine offensichtliche Freude daran hat, die Welt ganz subtil grundlegend zu verändern. Blaue Milch mit überraschender Wirkung, ein geheimnisvolles Amulett, ein Labor in Form eines riesigen Euters und fatale Leidenschaften in einer weiblich dominierten Welt, "in the milk" ist ein großes Vergnügen.


Zur Autorin: Nathalie Percillier wurde 1960 in Paris geboren, studierte Kunst an der Hochschule der Künste und Film an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Sie ist bekannt als Regisseurin von Kurzfilmen wie "Heldinnen der Liebe", der 1997 auf der Berlinale den Teddy gewonnen hat, und "Hartes Brot" (1999) der mehrfach ausgezeichnet wurde und bereits auf DVD erschienen ist. Percillier arbeitet bei ihren Projekten zusammen mit ihrer Partnerin Lily Besilly. Sie ist gelegentlich auch im Medium Theater tätig: 2010 wurde "Dings. Ein kriminalistisches-philosophisches-cinematographisches Singspiel" uraufgeführt, das in einer Kooperation mit "Les Reines Prochaines" entstanden ist. Die Schweizer Musikperformerinnen hatten schon für "Hartes Brot" die Musik geschrieben. Für "in the milk" hat Percillier 2001 den Preis der Master School Drehbuch bekommen, verfilmt ist es bisher noch nicht. Weitere Infos und Kontakt unter: www.dieheldinnen.de, Percillier und Les Reines Prochaines


Nathalie Percillier
in the milk. Die Abenteuer einer Kuh von schlichtem Gemüt

Männerschwarm Verlag, Hamburg 2011
www.maennerschwarm.de
Taschenbuch, 168 Seiten
ISBN 9783863000325
14,90 Euro

Weitere Informationen:

Ein Interview mit Percillier zu den Teddy-Awards 2006

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Literatur

Beitrag vom 24.08.2011

AVIVA-Redaktion