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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 11.03.2011


Sylke Tempel - Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert
Kristina Auer

Sie war eine Schlüsselfigur im deutschen Widerstand gegen Hitler und ist bis heute in vielerlei Hinsicht ein strahlendes Vorbild für viele Menschen. Wenige Wochen vor ihrem 100. Geburtstag...




... und etwas über ein Jahr nach ihrem Tod erschien im Rowohlt Verlag Sylke Tempels bewegende und einfühlsam erzählte Biographie der großen Widerstandskämpferin, Schriftstellerin und Juristin Freya von Moltke.

"Es macht glücklicher, wenn man nicht an sich denkt mit dem, was man tut", sagte Freya von Moltke in ihrem letzten Interview. In diesem einen Satz spiegelt sich eine Lebensphilosophie, die sich wie ein roter Faden durch ihr langes Leben zieht.

Als Tochter einer rheinischen Bankiersfamilie wurde sie am 29. März 1911 als Freya Deichmann in Köln geboren. Den jungen Grafen Helmuth James von Moltke heiratete sie im Alter von nur 20 Jahren, am 18. Oktober 1931. Die Ehe hinderte sie jedoch nicht an einem Jurastudium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, welches sie im Jahr 1935 mit der Promotion abschloss.

Widerstand

Sowohl Freya als auch ihr Ehemann waren seit jeher GegnerInnen des Nationalsozialismus. Bei der letzten Reichstagswahl im Jahr 1932 wählten beide aus "Schock" die Kommunistische Partei, obwohl sie für diese nie große Sympathien gepflegt hatten. Nach der Machtergreifung der Nazis widmete sich Helmuth James als Anwalt in Berlin der Aufgabe, JüdInnen und politisch Verfolgten zur Ausreise und der Rettung ihres Besitzes vor den Nationalsozialisten zu verhelfen. Währenddessen trug Freya die Verantwortung für den familiären Gutsbetrieb Kreisau in Schlesien. Hier fanden schließlich zwischen Mai 1942 und Juni 1943 die insgesamt drei Zusammenkünfte des sogenannten Kreisauer Kreises statt, einer Gruppe von Nazi-Gegnern unterschiedlichster politischer Lager, die gemeinsam über die politische Ordnung eines besseren Deutschlands nach dem Ende des Nationalsozialismus berieten. Helmuth James von Moltke, ebenso wie viele weitere Mitglieder des Kreises, musste für diese Treffen mit dem Tode bezahlen.

Vermächtnis

Freya von Moltkes Lebensaufgabe war es, das Andenken an die getöteten Widerstandskämpfer des Kreisauer Kreises zu bewahren. Dabei ging es ihr jedoch nie um eine Heldenverehrung, sondern vielmehr darum, das Vorbild ihres getöteten Mannes "für die Zukunft zu nutzen", wie sie selbst sagte. Die Biographin Sylke Tempel macht hier deutlich, dass sich Freya mit ihrem Anliegen niemals aufgedrängt hat. Sie begriff, dass die Rede von den WiderstandskämpferInnen im Nachkriegsdeutschland nicht auf offene Ohren stieß, da es denjenigen das eigene Nichtstun vor Augen führte, die sich gerne damit rechtfertigten, das Einschreiten gegen Hitler sei als normale/r BürgerIn "ja überhaupt nicht möglich gewesen".
So bewahrte Freya von Moltke geduldig ihr Vermächtnis, so lange, bis die Gesellschaft sich dafür zu interessieren begann. Dieses Vermächtnis umfasste nicht nur ihre eigenen Erinnerungen, sondern auch die über 1.600 Briefe, welche Helmuth James ihr im Laufe seines Lebens geschrieben hatte. Seit dem Flüchtlingstreck 1945 von Kreisau nach Berlin, über die Jahre in Südafrika von 1947 bis 1956 bis zu ihrem letzten Umzug nach Vermont im Jahr 1960 hatte sie diese Briefe immer mit sich genommen und damit vor der Zerstörung bewahrt. Freya ordnete die Briefe, schrieb sie ab und veröffentlichte sie schließlich in mehreren Büchern, außerdem war sie maßgeblich an einer Biographie über ihren Ehemann beteiligt.

Ein Vorbild der Menschlichkeit

In Tempels Biographie wird mit unumstößlicher Klarheit offensichtlich, um was für eine herausragende Persönlichkeit es sich bei Freya von Moltke handelt. Ihr ganzes Leben über sind ihre Taten und Entscheidungen geprägt von bemerkenswerter Klugheit, Respekt, Bescheidenheit und menschlicher Größe.
Niemals hat Freya von Moltke auch nach dem Tod ihres Mannes nur eine Sekunde daran gezweifelt, dass die Entscheidung, sich trotz aller Gefahren im Widerstand zu betätigen, die einzig richtige war. Niemals hat sie ein klagendes Wort über ihr hartes Schicksal verloren, das doch von Verlust und hohen Herausforderungen geprägt war, stattdessen betonte sie stets mit Nachdruck, wie reich und glücklich ihr Leben immer verlaufen sei.
Und niemals empfand Freya es in geringster Weise als Ungerechtigkeit, dass die Familie von Moltke das Gut Kreisau, das auch zu ihrer Heimat geworden war, nach Kriegsende durch den Übergang Schlesiens an Polen verlor. Anstatt Ansprüche zu hegen, erteilte sie Kanzler Helmut Kohl, der sie persönlich zu einer polnisch-deutschen Versöhnungsmesse in Kreisau im November 1989 einlud, eine Absage mit der Erklärung: "Nach Kreisau fahre ich nur, wenn die Polen mich einladen." Als dies wenig später geschah, unterstützte sie als Vorsitzende der "Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung" noch bis ins hohe Alter tatkräftig das Entstehen einer polnisch-deutschen Begegnungsstätte auf dem Gut Kreisau. Heute befinden sich dort eine Jugendherberge, ein Museum und zahlreiche Seminarräume.
Die beispielhafte Menschlichkeit der Person Freya von Moltke kraftvoll aufleuchten zu lassen, ist Sylke Tempel mit dieser Biographie äußerst gut gelungen.

AVIVA-Tipp: Durch detaillierte und facettenreiche Beschreibungen zeichnet Sylke Tempel ein lebensnahes Bild einer Zeit der Umbrüche und erweckt die Geschichte damit zu neuem Leben. Die Herausforderungen und Schicksalsschläge der Zeitzeugin des Hitler-Regimes werden für die Leserin nachempfindbar, was die Größe und den Mut aller WiderstandskämpferInnen umso deutlicher macht.
Doch Freya von Moltkes Geschichte ist nicht nur eine Abhandlung historischer Zusammenhänge. Sie ist auch eine große Liebesgeschichte zwischen Freya und ihrem Mann, den sie bereits mit 33 Jahren verlor und mit dem sie dennoch ein Leben lang im Geiste tief verbunden blieb. Diese tiefe Zuneigung des Paares füreinander spricht aus nahezu jeder Zeile von Tempels bewegender Erzählung, was der Autorin nicht zuletzt auch dadurch gelungen ist, dass auch der getötete Ehemann durch seine Briefe zu Wort kommt.
"Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" ist damit, wie im Titel schon angedeutet, sowohl eine berührende Erzählung über eine herausragende Person als auch ein eindrucksvoller Querschnitt durch ein Jahrhundert deutscher Geschichte.

Zur Autorin: Sylke Tempel, geboren 1963 in Bayreuth, studierte Geschichte, Politische Wissenschaften und Judaistik. Nach ihrer Promotion wurde sie Nahostkorrespondentin der Woche, später Redakteurin der Jüdischen Allgemeinen. Seit 2008 ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik. Zahlreiche Buchveröffentlichungen; zuletzt erschienen "Israel. Reise durch ein altes, neues Land" (2008) und "Die Tagesschau: Das große Deutschlandbuch" (2010). (Quelle: Rowohlt Verlag)

Sylke Tempel
Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert.

Rowohlt Verlag (erschienen 1. Februar 2011)
Deckenband, 224 Seiten
ISBN: 978-3-87134-697-2
19,59 Euro

Weitere Infos finden Sie unter:
www.rowohlt.de

Ebenfalls erschienen anlässlich des 100. Geburtstags von Freya von Moltke ist die Biographie " Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben, 1911-2010" von Frauke Geyken im C.H. Beck Verlag erschienen:
Frauke Geyken
Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben, 1911-2010

Verlag C.H. Beck (erschienen am 17.01.2011)
Gebundene Ausgabe, 287 Seiten
ISBN 978-3-406-61383-8
19,95 Euro

Weitere Infos finden Sie unter: www.chbeck.de

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Beitrag vom 11.03.2011

AVIVA-Redaktion