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Beitrag vom 06.10.2011
Adaobi Tricia Nwaubani - Die meerblauen Schuhe meines Onkel Cash Daddy
Tatjana Zilg
Wer verbirgt sich eigentlich hinter den vielen Spam-Mails, die täglich das Postfach füllen? Die nigerianische Commonwealth Writer´s Preisträgerin enttarnt in ihrem Debüt-Roman auf brillant ...
... humorvolle Weise die Fassaden, hinter denen die Scam-Szene in Afrika ihr cleveres Unwesen treibt.
Paulinus schwärmt von Nigeria, es sei "ein Land, in dem Milch und Honig fließen, nur verschlossen, in Flaschen und Bechern" - eine Behauptung, in der sich viel Hoffnung und Aufbruchstimmung spiegelt, aber auch die großen Schwierigkeiten auf dem Weg dahin. Er selbst wurde enttäuscht: Trotz eines Ingenieur-Studiums und einigen Jahrzehnten in guten Anstellungen muss er nach der Frühverrentung mit seiner Frau Augustina und den gemeinsamen Kindern an der Grenze zur Armut leben. Sie besitzen ein Haus mit ausreichend Raum für alle, aber die Mahlzeiten sind knapp wie auch die Mittel für den Alltagsbedarf. Als er einen Schlaganfall erleidet, wird die Familie auf eine harte finanzielle Probe gestellt, denn die Krankenhausbehandlung muss im voraus bar bezahlt werden.
Kingsley, der älteste Sohn von Paulinus, ignoriert die Skrupel seiner Eltern und wendet sich an seinen Onkel Boniface, Augustinas Bruder. Obwohl er keinen Schulabschluss hat, verfügt Boniface über erheblichen Reichtum. Wie er diesen erwirtschaftet hat, möchte die Familie nicht wissen. Der Kontakt wurde deshalb bisher vermieden.
Nichtsdestotrotz übernimmt Boniface alle Krankenhauskosten für den Vater. Leider stirbt dieser dennoch nach einer mehrwöchigen Behandlung.
Flucht in die Scheinidentität
Der Autorin gelingt es bestens, einen Einblick darüber zu geben, wie im urbanen Leben Nigerias moderne und traditionelle Werte ineinander verwoben sind und auf das Verhalten des Einzelnen einwirken. Kingsley kommt als ältestem Sohn die Rolle des Opara zu: Dies bedeutet für ihn viel Anerkennung, Aufmerksamkeit und Unterstützung durch seine Eltern, aber auch hohe Erwartungen. Sein Studium als Chemie-Ingenieur hat er mit Bravour abgeschlossen, doch er findet trotz eines langjährigen Bewerbungsmarathons keine entsprechende Stelle in Nigeria. Dabei benötigt die Familie dringend sein Gehalt, um die finanzielle Situation aller zu verbessern. Auch die zukünftigen Studiengebühren seiner vier Geschwister müssen bald bezahlt werden.
Da die Mutter, wie auch zuvor der Vater, die Augen davor verschließt, dass die derzeitige wirtschaftliche Situation - geprägt von Korruption und Misswirtschaft - Bildungswillen nicht belohnt und ihr Sohn keine Aussicht auf Erfolg in seinem studierten Beruf hat, gerät Kingsley in tiefe innere Konflikte.
Nach der ersten Trauer begreift er nach dem Tod seines Vaters, dass er nun von dessen Kontrolle befreit ist. Er beschließt, nicht mehr unerfüllbaren Erwartungen hinterherzujagen. Stattdessen nimmt er das Angebot seines Onkels Boniface an, für ihn zu arbeiten.
Geschickt stellt die Autorin ausführlich die starken Unterschiede zwischen Bonifaces materiellem Wohlergehen und damit einhergehendem sozialen Status und der prekären Situation von Kingsleys Familie heraus. Dann erst führt sie hinter die Kulissen und die LeserInnen erfahren, wie Boniface sein Geld verdient. Sein Spitzname ist Cash Daddy, wobei seine Geldtransaktionen längst nicht mehr nur auf Bargeld beruhen. Seine zahllosen Konten weltweit schreiben hochstellige schwarze Zahlen.
Was nun folgt, ist ein Schelmenstück allererster Klasse. Cash Daddy und seine Crew weihen Kingsley in die Kunst des Scammens ein. Vorrangig über Email versuchen sie, Kontakte zu ihnen völlig unbekannten Personen in Europa und Amerika aufzunehmen, mit teils abstrusen, immer komplett erfundenen Anliegen. Ist ein Mugu, eine bereitwillige zahlungskräftige Person, geködert, wird diese davon überzeugt, dass diverse Zahlungen notwendig seien, um Gelder über ihr Konto zu transferieren. Am Ende stehe eine hohe Gewinnbeteiligung für den Mugu. Letztere wird nie eintreten, die Einzahlungen der Mugus werden jedoch freudig entgegengenommen. Anfänglich kämpft Kingsley mit Gewissenskonflikten, die Cash Daddy aber mit erstaunlichem rhetorischen Geschick aus dem Weg räumt: In Amerika und Europa würden die Dinge anders funktionieren. Selbst wenn jemand dort sein Geld verliere, fange ihn das soziale System auf. Zudem haben diese Länder jahrhundertelang von der Ausbeutung Afrikas profitiert, Scammen sei nur eine Umkehr des Kolonialmechanismus.
AVIVA-Tipp: Die Autorin liefert eine subversive Satire und köstliche Parodie auf die Ausuferungen und negativen Aspekte globaler Zeiten. Dabei gewährt sie InsiderInnen-Einblicke in die nigerianische Sozialstruktur, innerhalb derer sie ihre liebenswert spitzbübischen Charaktere fern von klassischen Klischees agieren lässt.
Das Handeln der Scammer wird durch und durch menschlich nachvollziehbar dargestellt, so dass frau nie auf die Idee kommen würde, sie dafür zu verurteilen. Dennoch funktioniert der Roman gleichzeitig als Warnung: Wer ihn gelesen hat, fällt garantiert nie selbst auf solche Betrugsversuche hinein. Wobei das vorsichtige Schmökern im Spam-Ordner eine gute Ergänzung sein könnte und schnell davon überzeugen wird, dass die Autorin sich diese unglaublichen Geschichten nicht vollständig erdacht hat, sondern dass Scamming per Email rund um den Kontinent alltäglich vorkommt.
Zur Autorin: Adaobi Tricia Nwaubani wurde in Nigeria geboren, wo sie auch noch heute lebt. Ihr erstes Geld verdiente sie sich im Alter von dreizehn Jahren mit dem 1. Preis eines Schreibwettbewerbs. Als Teenager träumte sie von einer Karriere als CIA- oder KGB-Agentin, schließlich entschied sie sich jedoch für ein Studium der Psychologie. "Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy" wurde als bester afrikanischer Debüt-Roman mit dem Commonwealth Writer´s Preis 2010 ausgezeichnet. (Quelle: Verlagsinfo)
Adaobi Tricia Nwaubani
Die meerblauen Schuhe meines Onkel Cash Daddy
Originaltitel: I do not come to you by chance
Aus dem Englischen von Karen Nölle
Deutsche Erstausgabe, 500 Seiten
Verlag: dtv premium, erschienen Mai 2011
ISBN 978-3-423-24861-7
14,90 Euro