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Beitrag vom 20.01.2005
Richtige Fragen und zweifelhafte Antworten
Silke Buttgereit
Michael Warschawskis schreibt in "Höllentempo" über die Veränderungen der israelischen Gesellschaft vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Konflikts
Für Michael Warschawski ist die Welt im Nahen Osten klar gestrickt: Israel ist ein kolonialistischer Staat, dessen kriegstreiberische, nationalistische Regierung danach trachtet, die PalästinenserInnen endgültig aus ihrem Land zu vertreiben. Die israelischen PalästinenserInnen wiederum sind ein friedfertiges Volk von unschuldigen Zivilisten, die sich, angesichts der enormen Unterdrückung, die sie erfahren, hin und wieder dazu hinreißen lassen, Panzer mit Steinen zu bewerfen.
Soweit für den Westen nichts Neues - das ist die im nicht-jüdischen Europa weit verbreitete Sicht der Nahost-Dinge, die jede und jeder, der und die seit den 60er Jahren politisch laufen lernte, mit der medialen Muttermilch eingesogen hat. Prekär ist allenfalls, dass Warschawskis Blick der eines aus Frankreich stammenden jüdischen Israelis ist.
Sein Essayband "Mit Höllentempo. Die Krise der israelischen Gesellschaft" betrachtet vor allem die Jahre der zweiten Intifada, die nach Scharons Besuch auf dem Tempelberg am 28. September 2000 einsetzte.
Das Scheitern des Oslo-Prozesses, die Ereignisse in Dschenin, der Bau des Trennungszauns, Warschawski rollt die Ereignisse der letzten Jahre noch einmal auf, um einerseits die kolonialistischen Grundsätze der israelischen Politik und andererseits die Auswirkungen des permanenten unerklärten Krieges auf die israelische Gesellschaft aufzuzeigen.
Ersteres geschieht gar zu einseitig und lässt sowohl die Geschichte des jüdisch-palästinensischen Konfliktes als auch die weit über die Region hinausreichenden politischen Konstellationen völlig außer Acht. Hingegen ist die Frage, wie sich die seit über einem halben Jahrhundert andauernde Situation ständiger Gewaltbereitschaft und Gewaltbedrohung auf eine demokratische Gesellschaft auswirkt, eine sehr wichtige und wird von Warschawski unter verschiedenen Aspekten gestellt:
Was bedeutet es für das alltägliche Zusammenleben, wenn über einer Gesellschaft ständig das Damokles-Schwert des kriegerischen Ausnahmezustands schwebt? Welche Auswirkung hat die permanente Präsenz von Militär und Waffen im zivilen Leben? Was heißt es für Bildungswesen und Medienpolitik, wenn die Existenz eines Staates so eng an seine militärische Verteidigungsbereitschaft gekoppelt ist/wird? Gibt es den Punkt, wo Hass auf den Nachbarn umschlägt in destruktive gesellschaftliche Aggression, die sich auch im alltäglichen Zusammenleben äußert?
Warschawskis Fragen sind interessanter als seine Antworten und es bleibt die Vermutung, dieses Buch würde uns - wäre es nach dem 11. November 2004 geschrieben - auch noch erzählen, inwiefern israelische Militärs den Tod des so jugendlich verschiedenen Arafat zu verantworten haben. Schalom achschaw - die Region braucht Frieden dringender als Verschwörungstheorien!
Zur Geschichte des Nahost-Konflikts sowie Informationen zum Friedensprozess:
www.weltpolitik.net/Regionen/Naher%20u.%20Mittlerer%20Osten/Nahostkonflikt/Grundlagen/
www.anti-defamation.ch/
www.ajc.org/Israel/PeaceProcess.asp
Michael Warschawski
Mit Höllentempo
Die Krise der israelischen Gesellschaft
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer
Edition Nautilus Verlag
Broschiert, 128 Seiten
10,90 Euro (D), sFr 19,70
ISBN 3-89401-448-2
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