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Beitrag vom 08.03.2005
Schweres Gepäck
Sarah Ross
Mit einer bewundernswerten Sensibilität sammelt und beschreibt die Publizistin, Politologin und Journalistin Helga Hirsch die Geschichten von Menschen der zweiten Generation von Vertriebenen.
Die seelischen und körperlichen Spätfolgen von Flucht und Vertreibung belasten die Menschen der zweiten Generation selbst noch Jahrzehnte später. Die Autorin Helga Hirsch begleitete diese Menschen, die auf der Suche nach ihren biographischen Wurzeln sind, hörte zu, fragte nach und fügte ihre sensiblen Beobachtungen zu bewegenden biographischen Texten zusammen.
Ihr Buch "Schweres Gepäck" beantwortet die Frage, wie die Kinder der Vertriebenen 60 Jahre danach mit dem Schicksal ihrer Familien umgehen.
In den sechs erschreckenden, berührenden, traurigen und manchmal verbitterten Lebensgeschichten ergänzt die Publizistin Helga Hirsch eine politisch kontrovers geführte Diskussion über Flucht, Vertreibung und Umsiedlung, über Opfer und Täter. Dabei geht die Autorin von der These aus, dass die gesellschaftliche Anerkennung dieser Schicksale der Schlüssel für ein besseres Zusammenleben Deutschland und seinen östlichen Nachbarn in Europa ist.
An den Fragen "Wer bin ich?" und "Welche Erfahrungen der Eltern und Großeltern haben mich und meine Familiengeschichte geprägt?", hat die Autorin auch ein persönliches Interesse: Denn auch ihr Vater wurde aus seiner Heimat Breslau vertrieben, und auch in ihrer Familie war es unerwünscht, den Vater nach seinen Eltern, seiner Kindheit und seinen Verwandten zu fragen.
Die persönliche Aufarbeitung des Geschehenen stehen in Hirschs zusammengetragenen Einzelschicksalen im Vordergrund - nicht die Frage nach Schuld und Sühne: "Vergangenheit lässt sich nicht ungeschehen machen. Aber wir können Wege finden, auf bewusstere Weise mit ihr umzugehen. Dann werden wir uns weniger missverstehen, uns weniger verletzen und uns auf eine neue, aufrichtigere Weise näher kommen".
AVIVA-TIPP: Neben den lesenswerten Lebensgeschichten, die die LeserInnen auch zu eigenen Nachforschungen und der Auseinandersetzung eigener Schicksale anregen können, analysiert Helga Hirsch in einem Begleittext auch die Erfolge der Integration und ihre persönlichen Schattenseiten.
Zur Autorin: Helga Hirsch ist promovierte Politologin und arbeitet seit 1985 als freie Journalistin, unter anderem für den WDR und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie war von 1988 bis 1995 Korrespondentin der Wochenzeitung DIE ZEIT in Warschau. Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen die Lebensgeschichten von Menschen zwischen den Kulturen, Systemen und Nationalitäten.
Helga Hirsch
Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema
Edition Körber-Stiftung, Hamburg Oktober 2004
257 Seiten
ISBN 3-89684-042-8
14 Euro
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