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Beitrag vom 20.04.2005
Ich will verstehen - Geschichte der Philosophinnen
Ruth Niehaus
Voltaire? Kennt jede/r, aber wer hat schon mal etwas von seiner Lebensgefährtin, der Marquise de Châtelet gehört? Und kann die Französische Revolution ohne Olympe de Gouges verstanden werden? Auf keinen Fall! Unter den 44 Denkerinnen von der Antike bis zur Gegenwart ist auch die Pionierin der Frauengeschichtsforschung, Gerda Lerner. Diese beschreibt eindringlich, was die verschiedensten Philosophinnen über die Jahrhunderte eint
Wer sind wir, woher kommen wir, gibt es einen Gott - es sind Fragen und Zweifel von elementarer Wucht, die Menschenkinder um die 13 mitunter umtreiben. Die jungen SinnsucherInnen konsultieren vielleicht eine Philosophiegeschichte und versuchen, die verschlungenen Erkenntniswege großer Denker nachzuvollziehen. Und wahrscheinlich wird es ihnen gar nicht auffallen: Denkerinnen kommen darin nicht vor. Dabei gab es derer viele, sogar schon zur Zeit der alten GriechInnen und es lohnt sich, sie kennen zu lernen.
Doch wer nicht zufällig oder gezielt eine Frauengeschichte zur Hand nimmt, wird nie erfahren, dass beispielsweise Marie Le Jars de Gournay (1565-1645), bekannt als Adoptivtochter des großen Montaigne, selbst Autorin von Essays, Gedichten und zukunftsweisenden feministischen Schriften war. Das scheint nicht der Rede wert zu sein, dafür wird Marie in der einschlägigen Literatur zur Französischen Sprache stets mit dem Zusatz ´Mademoiselle´ bedacht. Ebenso fleißig zitiert man aus dem großen Fundus sexistischer Spötterei, mit der sich die Philosophin zu Lebzeiten herumschlagen musste. Eine gut platzierte "alte Jungfer" gibt dem trockensten Text ein wenig Würze.
Meint man, und so wiederholen sich die immergleichen Beleidigungen und zementieren nicht zuletzt das patriarchal geprägte Geschichtsbild in den Köpfen der Schülerinnen und Studentinnen.
Die Pionierin der Frauengeschichtsforschung, Gerda Lerner, beschreibt eindringlich, was die verschiedensten Philosophinnen über die Jahrhunderte eint. Ohne in die Fußstapfen einer Lehrerin oder einer Mentorin treten zu können, musste sich jede einzelne zum Denken und Schreiben selbst ermächtigen. "Was die Frauen an Einsichten gewannen, das versank, kaum ein Wellenkräuseln hinterlassend, geräuschlos in den Fluten und die folgenden Generationen von Frauen mussten immer wieder die gleichen Schritte gehen, die andere vor ihnen bereits gegangen waren".
Der Zugang zu höherer Bildung war Frauen mit Verweis auf Traditionen, göttliche Pläne oder auch "wissenschaftliche "Erkenntnisse versperrt. Es bedurfte glücklicher Fügungen, oft eines wohlmeinenden Mentors und vielfach der Bereitschaft zum Verzicht auf Ehe und Mutterschaft, um den Weg einer Intellektuellen einzuschlagen. Entsprechend schludrig wurde mit den Schriften umgegangen.
Ingeborg Gleichauf, Autorin einer Biographie über Hannah Arendt, wartet nicht ab, bis die Schulbücher umgeschrieben werden. In ihrem Buch, in acht chronologisch geordneten Kapiteln, präsentiert sie 44 Denkerinnen von der Antike bis zur Gegenwart. Vor dem Hintergrund historischer und kultureller Epochen erläutert Gleichauf deren Ideen und stellt sie in den Kontext der jeweiligen philosophischen Strömungen. Das Buch ermöglicht einen guten, alternativen Einstieg in die Welt der Philosophie und kurbelt die Lust am selbständigen Denken an.
AVIVA-Tipp: Mit Personenregister und gut aufgebautem Glossar ist "Ich will verstehen" ein kleines, aber wertvolles Handbuch der Philosophie.
Ingeborg Gleichauf
Ich will verstehen
Geschichte der Philosophinnen
DTV Junior, Reihe Hanser, erschienen April 2005
192 Seiten, ab 13 Jahren
ISBN 3-423-62214-80
7,50 Euro200476352175"