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Beitrag vom 29.08.2005
Angela Merkel
Karin Effing
Wer ist die Frau, die vielleicht mit der Wahl am 18. September 2005 unsere Kanzlerin werden wird? Zwei BiographInnen erkunden den Weg der studierten Physikerin zur Parteivorsitzenden der CDU.
An Angela Merkel kommt vor der immer näher rückenden Wahl zur neuen Bundesregierung niemand mehr vorbei. Aus der jungen Frau, die uns zum ersten Mal als Frauenministerin im Kabinett Helmut Kohls zu Bewusstsein kam, ist die Kanzlerkandidatin der CDU geworden, die uns von den Wahlplakaten entgegenlächelt.Auch die Titelseite der Septemberausgabe der "Emma" ist ganz Angela Merkel gewidmet und auf der Wochenzeitung die "Zeit" kann der/die WählerIn ihre Entwicklung gleich auf vier Bildern in einer Reihe verfolgen. Darunter steht neben dem Kreuzchen die Frage: "Ja, weil sie eine Frau ist?"
Alice Schwarzer stellt diese Frage im Editorial der neuen Emma-Ausgabe in ähnlicher Weise. Sie fragt "Nur eine Frage des Geschlechts?" und stellt den Vergleich auf, wie es wohl wäre, wenn der erste Schwarze (es ist tatsächlich nur die männliche Form benutzt) in den USA zur Wahl stünde. Würden dann nicht auch die Schwarzen in Betracht ziehen, ihn zu wählen?
Sie formuliert an zwei Stellen desselben Textes fast sinngemäß: "Die konkreten Errungenschaften in diesen Bereichen [A.S. bezieht sich auf Frauen- und Familienpolitik, aber auch die Gleichstellung von Homosexuellen] werden in absehbarer Zeit von keiner zukünftigen Berliner Regierung zurück gedreht werden - egal welcher parteipolitischen Couleur sie ist - so lange es das gesamtpolitische Klima nicht zulässt." Ganz nach dem Motto, das Erreichte kann eine konservative Regierung nicht rückgängig machen.
Was ist denn da passiert? Wirbt Frau Schwarzer für Frau Merkel? Die CDU hat auf jeden Fall prompt reagiert. Auf der Startseite der Internetseite der CDU wird auf das Interview gleich unter dem Foto der Kanzlerkandidatin hingewiesen.
Karin Junker, Mitglied des SPD-Parteivorstandes und Vorsitzende der Kommission Gleichstellungspolitik, hat verständlicherweise sofort mit einer Pressemeldung reagiert:
"Wäre ein Unionsmann Kanzlerkandidat, würde es Emma bestimmt nicht schwer fallen, unter Hinweis auf das vorliegende Wahlprogramm den Daumen zu senken. Mit Ursula Männle, Irmgard Karwatzki und Rita Süssmuth hat EMMA drei Kronzeuginnen gefunden, die überzeugender als alle politischen Gegnerinnen die frauen- und gleichstellungspolitischen Defizite der Union offen legen. "Frauenpolitik kommt in dem Programm nicht vor" (Männle). "Das Wort Frau kommt in dem Programm gar nicht vor" (Karwatzki). "Ganz klar. Die Beteiligung der Frauen ist rückläufig" (Süssmuth)."
Außer dem im Zitat angesprochenen Interview findet die Leserin in der "Emma" ein Interview mit Frau Merkel, in dem sie sich zu ihrem Frausein bekennt. "Und damit meine ich jetzt nicht nur das Schminken [...] sondern auch einen sicher eher weiblichen Stil - wie ein bestimmter Humor oder eine manchmal andere Sprache - mit einzubringen in die Politik."
Woraufhin Alice Schwarzer endlich Tacheles reden möchte: "Nur, Frau Merkel, ist da auch Frau drin, wo Frau drauf ist."
Frau Schwarzer, deren Verdienste unbestritten sind, führt hier vor, was in den Geschlechterwissenschaften schon lange postuliert wird: Emanzipationspolitik kann und darf nicht an den Biologismen fest gemacht werden, durch die Diskriminierung selbst definiert wird. Das biologische Geschlecht von Angela Merkel sagt nichts über ihre Genderkompetenz aus!
Wer ist Angela Merkel?
Sie wurde als Angela Dorothea Kasner am 17. Juli 1954 in Hamburg, der Heimatstadt der Mutter, geboren. Der aus Berlin-Pankow stammende Vater war in die Hansestadt gekommen, um evangelische Theologie zu studieren, denn in der DDR war dies nicht möglich. Horst und Herlind Kasner, geborene Jentzsch, traten sechs Wochen nach der Geburt des ersten von drei Kindern einen Weg ein, der ungewöhnlich war. Während im gleichen Jahr 180.000 Menschen die DDR verließen, entschieden sie sich, sich in Quitzow in der brandenburgischen Prignitz niederzulassen. Diese Entscheidung ging hauptsächlich auf den Wunsch des Vaters zurück, der seinen Platz da sah, wo er gebraucht wurde. In der DDR mangelte es an seelsorgerischen Kräften.
Drei Jahre später siedelte die Familie nach Templin um, einem beschaulichen Städtchen in der Uckermark. Der "Waldhof" außerhalb der historischen Stadtmauer wurde der endgültige Sitz der Familie Kasner.
Als Ehefrau eines Pfarrers durfte die Mutter trotz wiederholter Anträge ihren erlernten Beruf als Lehrerin nicht ausführen und widmete sich der Familie und der Erziehung der Kinder.
Die junge Angela Dorothea Kasner konnte erstaunlich früh sprechen, nur laufen wollte sie nicht so recht. Ihre Eltern mussten ihr erklären, wie sie einen Berg hinunterläuft. Das spiegelt die erwachsene Frau wider, die mehr im Kopf als im Körper zuhause zu sein scheint.
Die Eltern vermittelten den Kindern früh, dass sie als Pfarrerskinder besonders gute Leistungen erbringen müssten, um später studieren zu können. Die Schülerin glänzte mit ausgesprochen guten Noten. Später studiert sie von 1873 bis 1978 Physik in Leipzig. Sie war dann wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentralinstitut für Physikalische Chemie an der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Mit einer Arbeit zur Teilchenbeschleunigung bei einfachen Kohlenwasserstoffen promovierte sie 1986 zum Dr. rer. nat.
Dann kam die Wende im doppelten Sinne, denn mit der sogenannten Wende in der DDR ändert sich auch das Leben der Angela Merkel, die den Namen des Mannes, mit dem sie zwischenzeitlich verheiratet war, beibehalten hat. 1989 trat sie dem "Demokratischen Aufbruch" bei und wurde dessen Pressesprecherin. 1990 wurde sie dann zur stellvertretenden Regierungssprecherin der Regierung de Mazière ernannt.
Von 1991 bis 1998 war sie erst Bundesministerin für Frauen und Jugend, dann Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, währenddessen auch stellvertretende Parteivorsitzende. Von November 1998 bis April 2000 war sie dann Generalsekretärin der CDU. Seit April 2000 Parteivorsitzende der CDU.
Sie ist mit dem Quantenchemiker Joachim Sauer verheiratet.
Evelyn Roll beleuchtet die Entwicklung Angela Merkels aus journalistischer Sicht. Sie geht ausführlich auf die Rolle der Medien und den Umgang der Politik mit diesen ein. Die Biographie "Die Erste" beruht auf der Veröffentlichung der Autorin "Das Mädchen und die Macht", die sie 2001 geschrieben und 2005 umgearbeitet und um zwei Kapitel ergänzt hat.
Die Stärke der Biographie von Gerd Langguth besteht in der sachten Annäherung an das Phänomen Angela Merkel. Der Ansatz des Politikwissenschaftlers ist akademischer. Die Quellen werden benannt und mit ausführlichen Fußnoten belegt. Im Anschluss an den Haupttext versucht er sich in 10 Thesen dem Phänomen Angela Merkel zu nähern. Das Buch schließt ein Interview mit Angela Merkel ab.
Fazit:
Das Leben der Angela Merkel ist weniger interessant als die Stolpersteine, die ihr in den Weg gelegt wurden und die manchmal hilflosen Kommentare und Verhaltensweisen ihrer männlichen Kollegen. Sie ist letztendlich ein ganz normaler Mensch, der zielstrebig ihre Karriere verfolgt. Wie manche Angehörige einer benachteiligten Gruppe hat sie dabei die Gabe, Diskriminierungen einfach nicht wahrzunehmen. Was für sie selbst ein Segen ist, wird in dem Moment zum Problem, in dem von ihr eine klare Position verlangt wird: sie soll sich zu etwas bekennen, was für sie bisher kein Kriterium war.
Angela Merkel hat das Bekenntnis zu einem frauenpolitischen Programm dabei außerdem durchaus nachgeholt und es für ihre Ziele genutzt. Die inszenierte Nähe zu Alice Schwarzer ist einer ihrer genialen Schachzüge auf ihrem Weg ganz an die Spitze des Staates.
AVIVA-Tipp: Wer mehr über die Kanzlerkandidatin Angela Merkel erfahren möchte findet bei Evelyn Roll und Gerd Langguth die passenden Informationen. Bei der Lektüre der beiden Bücher, die sich bis auf die unterschiedlichen Ansätze wenig unterscheiden, entpuppt sich das öffentliche Bild der Angela Merkel als völlig irreführend. Hinter dem "naiven Mädchen" steckt eine intelligente, machtbewußte Frau.
Die AutorInnen:
Evelyn Roll, geboren 1952, studierte Politische Wissenschaften in Freiburg und schrieb zunächst als freie Autorin für verschiedene Zeitungen und Sender. Seit 1983 arbeitet sie bei der Süddeutschen Zeitung. Nach Stationen in München und Frankfurt wurde sie Leiterin des Berliner Büros der Süddeutschen Zeitung, seit 1999 ist sie freie Autorin. 2000 erhielt sie für ihre journalistische Arbeit den Theodor-Wolff-Preis.
Ihr Buch "Weil der Mensch ein Mensch ist - Johannes Rau im Gespräch mit Evelyn Roll" erschien 2004.
Prof. Dr. Gerd Langguth lehrt Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Er war lange im Bundesvorstand der CDU sowie Mitglied des Bundestages und hat bereits einige Veröffentlichungen vorgelegt.
(Quelle: Pressemitteilung von Karin Junker, Mitglied des SPD-Parteivorstandes und Vorsitzende der Kommission Gleichstellungspolitik, vom 24. August 2005)
Evelyn Roll
Die Erste
Rowohlt Taschenbuch Verlag, August 2005
ISBN: 3-499-62128-2
9,90 Euro
Kartoniert, 352 Seiten200479264575"
Gerd Langguth
Angela Merkel
Deutscher Taschenbuch Verlag, August 2005
ISBN: 3-423-24485-2
14,50 Euro
Kartoniert, 398 Seiten200733704375"