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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.12.2005


Das Haus der Lerchen. Von Antonia Arslan
Tatjana Zilg

Einigen mutigen Frauen gelingt es, ihre Kinder vor einem Pogrom zu schützen. Eine berührende Familiensaga vor dem Hintergrund des Völkermordes an den ArmenierInnen zu Beginn des Ersten Weltkrieges




Der Apotheker Sempad führt 1915 ein beschauliches Leben in einem kleinen Dorf, mitten in den Hügeln Anatoliens gelegen. Mit Fleiß und Disziplin hat er es zu ansehnlichem Wohlstand gebracht. Der ganze Stolz der Familie ist das Haus der Lerchen etwas abseits des Dorfes. Hier verbringen Sempad, seine Frau Shushaing, die sieben Kinder und zahlreiche Verwandte ihre freie Zeit in der sorgfältig eingerichteten Villa und den farbenprächtigen Gärten. Voller Freude erwarten alle den lang ersehnten Besuch von Sempads Bruder Yerwant, der vor vielen Jahren aufgrund von Familienstreitigkeiten nach Italien ausgewandert ist. Dort ist er Arzt geworden und führt ebenfalls ein erfolgreiches Leben. Etwas distanziert ist jedoch die Beziehung zu seiner Frau. Die beiden Söhne interessieren sich zu seiner Enttäuschung kaum für ihre armenischen Wurzeln. Mit großem Enthusiasmus bereitet er nun seinen Besuch in der alten Heimat vor: Das Auto wird für die große Reise tauglich gemacht, viele exquisite Geschenke werden besorgt.

Doch weder Yerwant noch die Geschenke werden die Reise zum Haus der Lerchen je antreten. Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges schwillt der Hass einiger türkischen Machtinhaber auf die ArmenierInnen so sehr an, dass eines Nachts fast alle armenischen Männer grausam und gezielt ermordet werden, darunter auch Sempad und etliche seiner Verwandten.

Die Frauen werden aufgefordert, binnen weniger Stunden ihre wichtigsten Sachen zusammenzupacken und ihre Kinder reisefertig zu machen. Ein langer Zug verlässt am Morgen unter der Führung von türkischen Soldaten das Dorf. Angeblich sollen die ArmenierInnen in einem Lager untergebracht werden. In Wirklichkeit ist geplant, sie in der syrischen Wüste auszusetzen und dort ihrem Schicksal zu überlassen.

Als die ArmenierInnen nach Stunden beschwerlichen Marsches eine Rast einlegen wollen, werden sie von einer Kurdengruppe aus den Bergen überfallen. Die Begleitsoldaten ziehen sich zurück und überlassen den Räubern das Feld. Diese nehmen den Frauen alle sichtbaren Wertgegenstände und Essensvorräte. Auch einige Kinder werden getötet. Offensichtlich wurde dies von den türkischen Drahtziehern geplant, um den armenischen Frauen die letzte Kraft und Zuversicht zu nehmen. Der Weg gestaltet sich weiterhin äußerst beschwerlich. Es gibt immer weniger zu essen, die Begleitsoldaten verhalten sich rücksichtslos und zynisch. Als sie endlich in der Stadt Aleppo angelangen, von wo aus sie in die syrische Wüste transportiert werden sollen, können die Frauen aus der Familie des ermordeten Sempads mit Hilfe einiger von Yerwant mobilisierter Kontakte entkommen.

AVIVA-Tipp: Der Autorin gelingt es, mit lyrisch-malerischen Worten die Atmosphäre, die diese traurigen Ereignisse geprägt hat, ausdrucksstark wiederzugeben. Gekonnt versetzt sie sich in die vielen unterschiedlichen Charaktere und deren Handlungsstrategien. Respektvoll würdigt sie den Mut, die Einsatzbereitschaft und die mütterliche Fürsorglichkeit der Frauen. Etwas getrübt wird die Kraft des Romans durch das extrem negative Bild, das von den kurdischen Bergvölkern gezeichnet wird. Hier wäre mehr Respekt vor einer anderen Minderheitengruppe in der Türkei wünschenswert gewesen.

Zur Autorin:
Antonia Arslan
ist Professorin für moderne und zeitgenössische italienische Literatur an der Universität Padua. Den Schwerpunkt ihrer Forschung bildet neben dem Werk italienischer Schriftstellerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts die Armenische Geschichte und Literatur. Als sie Werke des armenischen Dichters Daniel Varujan übersetzte (er wurde am 24. April 1915 aus seinem Haus verschleppt und einige Monate später umgebracht), brachte sie dies so intensiv in Berührung mit ihren eigenen armenischen Wurzeln, dass sie ihre Geschichte zu dem Roman "Das Haus der Lerchen" verarbeitete.

Mehr Informationen zum Völkermord an den ArmenierInnen:
http://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_an_den_Armeniern


Antonia Arslan
Das Haus der Lerchen

Originaltitel La Masseria delle allodole
Ãœbersetzt von Maja Plug
Gebunden, 284 Seiten
Verlag: Page & Turner, erschienen September 2005
ISBN: 3442202965
19,90 Euro90008115&artiId=4519048"



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Beitrag vom 23.12.2005

AVIVA-Redaktion