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Beitrag vom 27.05.2003
Niemals ausgepresst
Jessica Cohen
Hannelore Hoger liest die Memoiren von Lotti Huber und bringt dabei die unerschöpfliche Vitalität und Lebensfreude der vielfältigen Tänzerin und Kabarettistin zum Ausdruck
"Diese Zitrone hat noch viel Saft!": Mit diesem Spruch konterte Lotti Huber das Gerücht, Regisseur Rosa von Praunheim - der die 70jährige Lotti Huber für eine Rolle in einem seiner Filme gewinnen wollte - presse die Schauspieler wie Zitronen aus, sodass nur noch die Schale von ihnen übrig bliebe. Mit der saftigen Zitrone meint Lotti Huber sich selbst, und das verwundert nicht, wenn man mehr über ihr Leben erfährt.
1912 hineingeboren in ein wohlhabendes deutsch-jüdisches Milieu, widmet sie sich in der späten Weimarer Republik dem Nackt- und Ausdruckstanz. Weil sie mit einem Deutschen zusammen in Berlin gelebt hat, wird sie der "Rassenschande" beschuldigt und in ein Konzentrationslager deportiert.
Freigekauft von einer amerikanisch-jüdischen Flüchtlingsorganisation, kann sie nach Palästina auswandern. Sie lebt als Tänzerin und Barbesitzerin in Jerusalem, Haifa, auf Zypern und in London. Schließlich kehrt sie nach Berlin zurück, wo sie als Schnulzentextübersetzerin und Komparsin beim Film arbeitet - und mit 75 Jahren ihre erste Hauptrolle in einem Film von Rosa von Praunheim spielt.
Unermüdlich scheint ihre Lebenskraft zu sein - wo es ihr nicht gefällt, da zieht sie weg, und wer sie in ihrer Bar stört, der fliegt eben raus. In ihrer Autobiographie erscheint sie als charismatische, willensstarke Frau, die ihren eigenen Weg geht.
Dieser Eindruck wird vermutlich durch die Lektüre Hannelore Hogers verstärkt, die den Text mit ihrer tiefen, eindrucksvollen Stimme liest. Die Schauspielerin arbeitete unter anderen mit Alexander Kluge, Volker Schlöndorff und Helmut Dietl und wurde mit zahlreichen Film- und Fernsehpreisen ausgezeichnet. Populär wurde sie vor allem durch ihre Rolle als pfiffige TV-Kommissarin "Bella Block".
Die Autobiographie Lotti Hubers scheint jedoch eher ein Aufzählen ihrer Lebensstationen zu sein, als ein Rückblick, in dem sie ihre Gefühle und Gedanken, die ihr bewegtes Leben begleitet haben, preisgeben würde. Wahrscheinlich würde ein eher nachdenklicher Erzählstil auch nicht zu ihrer rauschhaften Persönlichkeit passen. Das Sympathische an ihr ist, dass sie ihre Exzentrizität zwar sehr wohl kultivierte, aber nicht kalkulierte, weshalb sie auch mit der Frage, warum sie denn so viele Tabus breche, nichts anzufangen wusste: "Ich habe nie auf Tabus geachtet, ich kenne eigentlich gar keine Tabus. Deshalb brauch ich sie nicht zu brechen. Ich lebe einfach drauflos."
Lotti Huber starb am 31. Mai 1998 in Berlin.
Hannelore Hoger liest Lotti Huber
Diese Zitrone hat noch viel Saft!
Verlag Antje Kunstmann, hörkunst bei kunstmann, 2003
ISBN 3-88897-330-9
€ 24,90
2 CDs, Länge: 157:53 Minuten200603786088" .