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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 25.10.2005


Späte Familie
Danielle Daum

Mit ihrem neuen Roman legt Zeruya Shalev nun den Abschlussband einer Trilogie über den Zerfall ehelicher Bindungen, die Auflösung von Familien und die daraus entstehenden existenziellen Ängste vor.




Ella, eine erfolgreiche Archäologin und Mutter eines sechsjährigen Sohnes, beschließt, dem schleichenden Zersetzungsprozess ihrer Ehe ein Ende zu setzen. Sie hat die Nase voll von den Ansprüchen, Beschwerden und Unfähigkeiten ihres Ehemanns und ist nicht länger gewillt, Kompromisse einzugehen. Sie gesteht sich ein, daß sie aufgehört hat, ihn zu lieben, daß sie ihn nicht einmal mehr achtet, und daß sich ihr Leben nie ändern wird, wenn sie nicht endlich reagiert. Dass sie selbst all die Jahre viel zu sehr um das Wohlergehen des Sohnes bemüht war und so das eigentliche Fundament der Familie, das Paar, vernachlässigt hat, erkennt sie erst viel später.

Der Roman erzählt, wie Ellas leichthin getroffene Entscheidung nicht nur ihre Ehe, sondern auch sich selbst an den Rand der Zerstörung treibt. Schon bald muss sie erkennen, daß sie statt der erhofften Freiheit eine Berg- und Talfahrt der Gefühle erwartet. Immer unerträglicher wird die Ablehnung ihrer Umgebung auf ihre vermeintlich selbstsüchtige, egoistische Entscheidung und immer größer werden die Schuldgefühle ihrem Sohn gegenüber, dem sie die Familie genommen hat. In Selbstmitleid versunken, sehnt sie sich zurück nach dem vertrauten Eheleben und grübelt verbittert über ihre Unfähigkeit zum Glücklichsein. Ella stürzt in eine tiefe Depression und verliert schließlich jede Sicherheit, Lebensfreude und Selbstgewissheit, bis sie sich mühsam wieder aus dem Scherbenhaufen ihres Lebens erhebt.

Nach fast fünf Jahren schließt die israelische Autorin Zeruya Shalev mit diesem Werk ihre Trilogie über die moderne Liebe ab, die sie mit "Liebesleben" 2000 begonnen und ein Jahr später mit "Mann und Frau" fortgesetzt hat. Auch wenn sich in den drei Romanen die Geschichten und Charaktere ändern, geht es Shalev doch immer um das Einfachste und Schwierigste überhaupt, nämlich des Rätsels Lösung, was Mann und Frau im Innersten zusammen hält und warum die Sprache des Körpers die Sprache des Verstandes letztlich nahezu ausnahmslos besiegt.

Kaum ein/e andere/r Autor/in vermag menschliche Beziehungen so tiefgründig und schonungslos zu analysieren wie Zeruya Shalev. Über fast sechshundert Seiten hält sie die Balance zwischen der Schilderung von Ellas Ausschweifungen und den Reflexionen zum Stand der Beziehung zu ihrem ersten Mann und zeigt dabei die ambivalenten Gefühle, zwischen jeweils einseitiger Annäherung und Distanzierung über gegenseitige Verletzungen bis zum endgültigen Bruch. Shalev treibt ihre Figuren, ihre Geschichte an ihre Grenzen. Und so ist auch Ella alles andere als ein moralisches Vorbild. Im eigenen Leid verharrend, scheint es ihr unmöglich, die Gefühle und Probleme anderer Menschen wahrzunehmen. Ausschließlich auf sich selbst fixiert und von Selbstzweifeln zerfressen, reagiert sie auf jedes nicht erwartungsgemäße Verhalten anderer mit verbittertem Zorn. Doch vielleicht sind Shalevs Romane gerade deshalb so erschütternd und durchdringend, weil man so manche der unbeschönigt geschilderten Gefühlsausbrüche aus dem eigenen Leben nur allzu gut kennt.

Zeruya Shalevs eigenes Leben kennt all diese Höhen und Tiefen. Die sechsundvierzigjährige, in Jerusalem lebende Schriftstellerin ist heute in dritter Ehe mit dem israelischen Autor Eyal Megged verheiratet. Aus zweiter Ehe hat sie eine Tochter, zusammen mit Megged einen gemeinsamen Sohn. Im Januar 2004 wurde sie unweit ihres Hauses durch ein Selbstmordattentat schwer verletzt, als ein Bus neben ihr explodierte und neun Menschen dabei ums Leben kamen. "Späte Familie" blendet diesen Vorfall komplett aus:

"Vielleicht werde ich es tun, aber zur Zeit verspüre ich nicht das geringste Bedürfnis, darüber zu schreiben. Es hieße, sich völlig weg zu bewegen von meiner Art zu schreiben. Ich versuche die kleinen Nuancen und versteckten Dramen unseres alltäglichen Lebens zu beschreiben. Ein Bombenattentat ist eine so extreme Tragödie für eine Vielzahl von Menschen. Ich könnte eine solche Tat niemals als literarisches Material benutzen. Vielleicht kann ich in einigen Jahren das Gefühl der Hilflosigkeit in jenem Moment, als es geschah, in einem anderen Kontext bearbeiten."

AVIVA-Tipp: "Späte Familie" ist ein spannender Roman. Ein Buch, das erschüttert, berührt und bis zur letzten Seite unterhält. Shalevs subtiler Stil schürt eine seltsame Unruhe bei der Leserin und damit das Bedürfnis, sich seiner selbst, seiner Liebe zu vergewissern.

Zur Autorin:
Zeruya Shalev
wurde 1959 im Kibbuz Kinneret geboren. Sie studierte Bibelwissenschaften und arbeitet heute als Schriftstellerin, freie Autorin und Verlagslektorin mit ihrer Familie in Jerusalem. Ihr zweiter Roman, der internationale Bestseller "Liebesleben", wurde mit dem "Golden-Book"-Preis des israelischen Verlegerverbands ausgezeichnet. Davor erhielt Zeruya Shalev bereits den Preis des israelischen Ministerpräsidenten. Berühmt wurde sie mit ihren zwei internationalen Bestsellern "Liebesleben" und "Mann und Frau", die gemeinsam mit dem neuen Roman "Späte Familie" eine Trilogie bilden.



Zeruya Shalev
Späte Familie

Ãœbersetzung: Mirjam Pressler
BV Berlin Verlag, September 2005
581 Seiten, Hardcover m. Umschlag
ISBN/EAN: 3827004748
22,00 Euro90008115&artiId=2833667"



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Beitrag vom 25.10.2005

AVIVA-Redaktion