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Beitrag vom 03.06.2006
Mein Iran - Shirin Ebadi
Sabine Grunwald
In ihrer bewegenden Autobiografie beschreibt die Friedensnobelpreisträgerin ihr Leben in der iranischen Gesellschaft, das von einem ständigen Kampf für die Demokratie und...
die Rechte der Frau geprägt ist.
Die ersten Erinnerungen an ein prägendes politisches Ereignis hatte die kleine Shirin kurz vor der Einschulung, als am 19, August 1953 der demokratisch gewählte Ministerpräsident Mohammed Mossadegh durch einen Staatsstreich gestürzt wurde.
Von 1926 bis 1941 war das Land unter Resa Schah monarchistisch ausgerichtet. Während dieser Periode relativer politischer Offenheit verschob sich das Gleichgewicht der Macht wieder zugunsten der gewählten Regierung. Während der Ära von Mossadegh verlor der Schah an Einfluss, und bis zum Einbruch des Jahres 1953 wurde das iranische Volk von seinen gewählten Vertretern regiert.
Der junge Schah, Mohammed Resa Pahlewi, beobachtete besorgt den Aufstieg und die Popularität seines Ministerpräsidenten. 1953 wurde durch die Intervention der Amerikaner, die gegen die Verstaatlichung des iranischen Öls opponierten, der Staatsstreich finanziert und Mossadegh erst zum Tode, dann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
1945 heirateten Shirins Eltern gemäß dem traditionellen, als khastegari bekannten Werbungsritual. Sie waren entfernte Verwandte und hatten sich einige Monate zuvor im Haus eines Cousins zweiten Grades zum ersten Mal gesehen. "Für meinen Vater war es Liebe auf den ersten Blick, und bis heute ist mir noch kein Mann begegnet, der seine Frau hingebungsvoller anbetet." Obwohl die Ehe als glücklich bezeichnet werden konnte, konnte Shirins Mutter ihren Jugendwunsch, Ärztin zu werden, nicht verwirklichen und reagierte Zeit ihres Lebens mit Krankheiten und Ängsten auf das nicht Ausleben können ihres Traumes.
In Shirins Elternhaus wurden die Mädchen gleichberechtigt mit dem Bruder erzogen. Dass dies in den iranischen Familien nicht an der Tagesordnung war, fiel dem jungen Mädchen vorerst nicht auf. Alle erhielten die gleiche Aufmerksamkeit, Zuneigung und Strenge. Bis zur Highschool waren die Geschwister angehalten, über ihr Kommen und Gehen Rechenschaft abzulegen und pünktlich zu sein. Erst nach dem Abschluss wurden Kino- oder Partybesuche erlaubt, das Gleiche galt auch für ihren Bruder.
"Erst als ich viel älter war, wurde mir klar, dass die Gleichheit der Geschlechter etwas war, das ich zuerst und vor allem zu Hause erfahren hatte...Die Tatsache, das mein Vater meine Unabhängigkeit gefördert hatte - vom Spielplatz bis zu meiner späteren Entscheidung, Richterin zu werden - hatte mir ein Selbstvertrauen verliehen, das ich nie bewusst wahrnahm, später jedoch als mein wertvollstes Erbe betrachtete".
1965 nahm Shirin ihr Jurastudium auf und wurde im März 1970 im Alter von dreiundzwanzig Jahren Richterin. "Der Beginn meines Berufslebens fiel in eine Zeit, in der es noch möglich war, für eine Institution einer unpopulären Regierung zu arbeiten, ohne das Gefühl zu haben, Partei ergreifen zu müssen…Obwohl sie schon beim bloßen Gedanken an den Savak (die Geheimpolizei) zitterten, vertrauten die Menschen noch immer dem Rechtssystem und glaubten fest daran, dass die Gesetzte ihre Rechte schützen würde."
1975 heirateten Shirin und der junge Elektroingenieur Java Tavassolian. Er akzeptierte von Anfang an Shirins Arbeit als Teil ihrer selbst und betrachtete sie weder als Hobby noch puren Zeitvertreib. Doch trotz ihrer Unabhängigkeit musste sie den alten Sozialvertrag zwischen Ehemann und Ehefrau zu erfüllen. Dies bedeutete, sich neben der Arbeit alleine um den Haushalt zu kümmern.
1978 kam es zu den ersten Tumulten, die die Rückkehr des Ayatollah forderten. Das Eingreifen der Mullahs in die iranische Politik zog sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Irans. Es war für die iranische Bevölkerung nichts bedrohliches, dass sich Ayatollah Khomeini im Exil in Schmähreden gegen den Schah erging. "Ich fühlte mich zu den Oppositionsstimmen hingezogen, die Ayatollah Khomeini als ihren Führer priesen. Es schien mir als einer gebildeten, berufstätigen Frau - kein Widerspruch zu sein, eine Opposition zu unterstützen, die ihren Kampf gegen Missstände im Gewand der Religion führte."
Doch Shirin sollte sich irren und die Auswirkungen der Revolution am eigenen Leibe erfahren.
Am 16. Januar 1979 verließ der Schah fluchtartig den Iran. Sechzehn Tage später, am 1. Februar 1979, beendete Ayatollah Khomeini sein Exil und betrat iranischen Boden. Millionen von Menschen feierten nach 14 Jahren die Rückkehr des 78jährigen Ayatollah. Das Militär kapitulierte und die Revolution errang den Sieg.
"Ich hatte das Gefühl, dass nicht nur die Revolution, sondern auch ich selbst gesiegt hatte. Es dauerte kaum einen Monat, bis mir klar wurde, dass ich tatsächlich bereitwillig und voller Enthusiasmus an meinem eigenen Ende mitgewirkt hatte. Ich war eine Frau, und der Sieg der Revolution verlangte meine Vertreibung aus dem Amt."
Das Kopftuch-Dekret war die erste Vorwarnung, dass die Revolution ihre Schwestern fressen könnte. Es ging das Gerücht, welches es Frauen verbot, das Richteramt auszuüben. Ende 1980 wurde Shirin ihres Richterinnenamtes enthoben. Sie ging weiterhin jeden Morgen pünktlich um neun Uhr zur Arbeit in die Geschäftsstelle in die sie zurückgestuft worden war, weigerte sich jedoch aus Protest, dort zu arbeiten. Eines Morgens stößt sie in der Tageszeitung auf einen Artikel, der ihr Leben verändert. Es geht um die Einführung eines islamischen Strafgesetzbuches auf den Grundlagen des islamischen Rechts. Gegen diese grauenvollen Gesetze sollte sie den Rest ihres Lebens kämpfen.
"Das Leben einer Frau war im Vergleich zu dem eines Mannes nur die Hälfte wert…die Aussage einer Frau bei Gericht als Zeugin eines Verbrechens galt nur halb so viel wie die eines Mannes, eine Frau musste ihren Mann um Erlaubnis bitten, wenn sie sich scheiden lassen wollte…Kurz gesagt, die Gesetzte drehten die Uhr um 1400 Jahre zurück zu den frühen Tagen der Ausbreitung des Islam, in denen das Steinigen von Ehebrecherinnen und das Abhacken der Hände von Dieben als angemessene Strafen erachtet wurden."
1980 gab es zwei einschneidende Ereignisse im Leben der ehemaligen Richterin. Am 21. April 1980 kam die Tochter Nagar zu Welt und am 22. September marschierte Saddam Hussein in den Iran ein. Der Krieg stoppte die allgemeine Unzufriedenheit mit der Revolution, doch hatte die politische Unterdrückung keineswegs nachgelassen. Shirin arbeitete weiter im Ministerium, wo sie einen neuen Posten im Vormundschaftsbüro für Minderjährige und geistig Gestörte zugewiesen bekam. 1983 wurde die zweite Tochter Nargess geboren. Ein Jahr nach ihrer Geburt nahm sie das Recht wahr, in Pension zu gehen.
StaatsbeamtInnen konnten nach fünfzehn Jahren aus dem Dienst ausscheiden und eine Pension beziehen. 1984 setzte Saddam Hussein zum ersten Mal chemische Waffen gegen die iranische Armee ein. Nerven- und später Senfgas forderten ihre Opfer. Immer mehr IranerInnen flohen aus dem Land. Grobe Schätzungen sprechen von einer Abwanderung zwischen vier bis fünf Millionen. Das Jahr 1988 läutete eine neue Phase des Krieges ein, den Krieg in den Städten. Luftangriffe fanden nun jeden Tag in Teheran und den anderen Städten statt. Nach beinahe acht Jahren und dem Verlust von beinahe einer Million Menschen wurde der Krieg beendet.
Ayatollah Khomeini starb am Samstag, dem 3. Juni 1989. Bemüht, das Land in den Griff zu bekommen, schränkte die neue Führung die Freiheit des Volkes noch weiter ein.
"Die als komiteh bekannten Tugendwächter schikanierten alle Iraner - ob Muslim, Christ oder Jude. Alt oder Jung -, machten jedoch mit besonderer Begeisterung Jagd auf Frauen…Wenn eine Frau zum Beispiel eine Straße entlangspazierte und in der Ferne eine komiteh-Patrouille sah, zog sie schnell ihren hejab ganz über das Haar und wischte sich das Make-up ab…Für Frauen wurde der öffentliche Raum - vom Warenstand über den Park bis hin zur Bushaltestelle - zum Unsicherheitsfaktor…Nachdem ich selbst ein- oder zweimal wegen bad hejabi, unschicklicher Kleidung, verhaftet worden war. Kam ich zu dem Schluss, dass es schwierig war, sich vor einem Staat zu schützen, der nun einmal ein Klima der Angst schaffen wollte. Und das war das eigentliche Ziel, vermutete ich, eine Angst, die so um sich griff, dass die Frauen zu Hause bleiben würden, an dem Ort, der nach Ansicht traditioneller Iraner ihr angestammter Platz war."
Obwohl der Feminismus noch lange kein Thema war und Feministin als Schimpfwort galt, wurde es nach und nach bei den Töchtern aus traditionellen Familien Mode, das College zu besuchen. Wobei die Öffnung der Universitäten für Frauen aus allen Schichten für große Spannungen in den Familien sorgte. Während der 90er Jahre stieg die Anzahl der Frauen an den Universitäten stetig an, bis sie sogar leicht in der Mehrzahl waren. Für ein im Kern immer noch patriarchalisches Land des Mittleren Ostens ist dies eine große Leistung. Verboten die Taliban im benachbarten Afghanistan den Frauen das Lesen. Doch war Zugang zu gleicher Bildung nicht gleichbedeutend mit Gleichberechtigung oder gleichen Berufschancen. Es konnten nicht genug Stellen geschaffen werden, um das Heer der hoch qualifizierten Frauen zu beschäftigen, auch waren die vorhandenen Arbeitsstellen meistens mit Männern besetzt. Nach dem Krieg musste das Land neu aufgebaut werden, dazu brauchte man auch die weiblichen Arbeitskräfte.
1992 durften Anwältinnen wieder praktizieren und Shirin Ebadi erhielt von der iranischen Anwaltskammer ihre Zulassung. Sie spezialisierte sich auf politisch brisante Fälle und nahm auch hin und wieder einen Pro-bono-Fall an. Letztendlich spezialisierte sie sich auf Fälle, die die tragischen Auswirkungen der Diskriminierung von Frauen durch die Theokratie deutlich machte. Nach einem dramatischen Prozess gegen zwei Kinderschänder wurde Shirin als Anwältin bekannt, die sich auf die Rechte von Frauen und Kindern spezialisierte.
"Die islamische Revolution hatte die muslimische Familie zum Herzstück ihrer nationalen Ideologie erhoben, Die Revolutionäre betrachteten die domestizierte muslimische Mutter, die ans Haus gebunden war und für ihren zahlreichen Nachwuchs sorgte, als den Schlüssel zur Bewahrung traditioneller, verbürgter Werte. Doch es schien in keinerlei Widerspruch dazu zu stehen, ein Familiengesetz zu erlassen, das den Müttern im Fall einer Scheidung automatisch die Kinder wegnahm oder die Ehe mit mehreren Frauen so leicht machte wie das Aufnehmen einer zweiten Hypothek".
Als immer mehr Dissidenten und Intellektuelle eines unnatürlichen Todes starben oder ermordet wurden, gaben die Gerichtsbehörden im Sommer 1999 nach und gewährten Einblick in Tausende von Akten.
"...der Skandal wiederum vergrößerte die Kluft zwischen dem Regime und der Bevölkerung. Seit jenem Sommer hat das Informationsministerium keine weiteren Hinrichtungen von Dissidenten und Intellektuellen mehr angeordnet."
Am 28. Juni 2000 wurde Shirin Ebadi in die Abteilung 16 des Teheraner Gerichts vorgeladen und von dort in das Gefängnis überführt.
Im September 2003 erhielt sie eine Einladung nach Paris, um in einem Seminar über die Stadt Teheran zu sprechen und erfuhr dort, dass sie den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Bei ihrer Rückkehr in Teheran wurde sie von einer unübersehbaren Menge begrüßt - in der Mehrzahl Frauen.
"Einige trugen den schwarzen Tschador, doch die meisten Schleier leuchteten in hellen Farben, und die Gladiolen und weißen Rosen, die sie schwenkten, blitzten in der Dunkelheit der Nacht auf."
AVIVA-Tipp: Ein mutiges und anrührendes Buch über das Leben als Frau in einer islamischen Republik, die zwischen Reform und Unterdrückung gefangen ist.
Zur Autorin:
Shirin Ebadi, geb. 1947, studierte Rechtswissenschaften in Teheran. 1975 wurde sie als erste Frau im Iran zur Richterin ans Teheraner Gericht berufen und übernahm schon bald dessen Vorsitz. 1979 wurde sie ihres Amtes enthoben. Sie arbeitet heute als Rechtsanwältin und Dozentin an der Universität Teheran. 1994 gründete sie die Vereinigung zum Schutz der Kinder im Iran. 1996 wurde sie mit der Medaille der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geehrt. 2003 erhielt sie den Friedensnobelpreis.
Die Co-Autorin:
Azadeh Moaveni schrieb das Buch Lipstick Jihad: A Memoir of Growing Up Iranian in America and American in Iran. Sie arbeitete für die Los Angeles Times und ist Korrespondentin des Time Magazines für islamische Angelegenheiten. Sie ist im Norden Kaliforniens aufgewachsen und lebt in Beirut.
Shirin Ebadi
Mein Iran
Ein Leben zwischen Revolution und Hoffnung
Pendo Verlag, München und Zürich, erschienen Mai 2006
Ãœbersetzt von Ursula Pesch
Gebunden, 320 Seiten mit 20 Abbildungen
19,90 Euro
ISBN 3-86612-080-X90008115&artiId=5190039"