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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 09.06.2006


Das Böse denken
Sarah Ross

Die amerikanische Philosophin Susan Neiman legt mit ihrem Buch eine andere Geschichte der Philosophie vor, in der sie der Frage nachgeht, ob das Böse überhaupt verstehbar ist.




In ihrem neuen Buch "Das Böse denken. Eine andere Geschichte der Philosophie" denkt die US-amerikanische Philosophin und Direktorin des Einstein Forums in Potsdam, Susan Neiman, das Undenkbare - nämlich das Böse. Neimans Studie zieht einen zeitgeschichtlichen Bogen von der Frühaufklärung bis in die Gegenwart und diskutiert unter Berücksichtigung der philosophischen Werke von Voltaire, über Rousseau, Nietzsche und Freud bis hin zu Hannah Arendt, ob trotz des Bösen auf der Welt, die Vernunft am Ende doch noch als regulatives Versöhnungsprinzip überleben kann. Susan Neimans Buch, das im Original unter dem Titel Evil in Modern Thought erschienen ist, wurde von Christiana Goldmann aus dem Amerikanischen übersetzt. Diese Studie ist eine Geschichte des Nachdenkens über das Böse und zugleich eine andere Geschichte der Philosophie.

Die Autorin zeigt in ihrer Studie, dass sich die Frage nach dem Sinn und der Verstehbarkeit des Bösen wie ein roter Faden durch die moderne Philosophie zieht, und diese nachhaltig geprägt hat. Im Mittelpunkt ihres Buches stehen dabei Katastrophen, wie das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, Auschwitz und der 11. September. Dass das Erdbeben im 18. Jahrhundert für die EuropäerInnen als ein manifester Ausdruck des Bösen galt, und wir heute Auschwitz als den extremsten Ausdruck böswilligen und grausamen menschlichen Handelns verstehen, zeigt, dass das Böse die menschliche Vernunft immer wieder auf eine harte Probe stellt. Dadurch wird das Vertrauen darauf, dass der Weltenlauf einen Sinn ergibt, stets ins Wanken gebracht.

In Neimans Buch liefern sich sowohl optimistische wie auch verzweifelte Theodizeen von der Aufklärung bis zur Gegenwart einen höchst interessanten Schlagabtausch, und vereinen sich schließlich zu einer Ideengeschichte der Auseinandersetzung der modernen Philosophie mit dem Bösen. Denn Neimans Ansicht nach, ist das Böse die "treibende Kraft des modernen Denken". Auch wenn die Autorin in ihrem Werk selbst keine Definition des Bösen entwickelt und zudem der neueren Philosophie vorhält, sich nicht genügend mit dem Bösen auseinanderzusetzen, ist es dennoch ihr Verdienst, dass sie diese Thematik wieder auf das philosophische Spielfeld unserer Zeit zurückgebracht hat. Damit hat Neiman eindeutig ein wertvolles und inspirierendes Buch vorgelegt, das es nur sehr selten in der Philosophie gibt.

AVIVA-Tipp:
Susan Neiman hat mit ihrem Buch die Thematik des Bösen aus den Händen der Theologie gerissen und sie wieder in die Obhut der Philosophie gegeben. In ihrer Studie geht sie unter anderem den Fragen nach, ob das Böse tiefgründig oder banal, und überhaupt verstehbar ist. Neimans Buch ist nicht nur eine Seltenheit in der Philosophiegeschichte, sondern zudem auch eine bewegende, reizvolle und brillante Lektüre. Ein durchaus auch kühnes Philosophiebuch, das für Laien lesbar und verstehbar ist.

Zur Autorin:
Die US-Amerikanische Philosophin Susan Neiman wurde 1955 in Atlanta/USA geboren. Nach ihrem Engagement in der US-amerikanischen Anti-Vietnamkriegbewegung und dem Studium der Philosophie in Harvard (Schülerin von John Rawls), welches sie mit einer Promotion im Jahre 1986 abschloss, hatte Neiman einem längeren Deutschlandaufenthalte an der Freien Universität Berlin. Sie war Professorin an der Yale Universität von 1989 bis 1996 und der Universität in Tel Aviv (1996-2000). Ihre Hauptarbeitsgebiete sind die Moralphilosophie, politische Philosophie und die Philosophiegeschichte. Sie ist Direktorin des Einstein Forums in Potsdam und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.


Susan Neiman
Das Böse denken

Eine andere Geschichte der Philosophie
Suhrkamp Verlag, März 2006
Originaltitel: Evil in Modern Thought
Ãœbersetzt von Christiana Goldmann
ISBN 3 518 45753-5
Paperback, 492 Seiten
14,00 Euro90008115&artiId=3556386&nav=5081"



Literatur

Beitrag vom 09.06.2006

Sarah Ross