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Beitrag vom 04.07.2006
Der Geist der Madame Chen
Sarah Ross
Die Erfolgsautorin Amy Tan erzählt in ihrem neuen Buch die amüsante Geschichte einer höchst ungewöhnlichen Frau, während sie uns mitnimmt auf eine spannende Reise ins Herz von Burma.
Mit ihrem Roman "Töchter des Himmels" hat die amerikanisch-chinesische Schriftstellerin, Amy Tan, weltweit große Erfolge gefeiert. Nun ist auch ihr jüngster Roman "Der Geist der Madame Chen" im Goldmann Verlag auf Deutsch erschienen. Während die Autorin in ihren bisher oft autobiographisch geprägten Romanen ihre LeserInnen mit Frauenschicksalen und Mutter-Tochter-Beziehungen überzeugte, so vollzieht die 54-jährige in ihrem neuen Buch einen überaus gelungenen Themenwechsel: Hier erzählt sie uns die Geschichte der exzentrischen Chinesin Bibi Chen, die nach ihrem mysteriösen Tod ihre FreundInnen als Geist auf einer Reise durch Myanmar in Burma begleitet. Doch "Der Geist der Madame Chen" ist nicht nur ein höchst amüsantes Erzählwerk, sondern auch ein provokanter Roman, in dem die Autorin die schlimmen Verhältnisse in Burma und vor allem den dortigen Genozid von Seiten des Militärs anprangert.
Die Schriftstellerin eröffnet ihr Buch mit einem ungewöhnlichen und irgendwie auch faszinierenden Prolog. Diese einleitenden Worte sollen ihrem fiktiven Roman eine sachliche Grundlage verschaffen und zugleich erklären, wie die Autorin zur Idee ihres neuen Werkes gelangte. Von einem Gewitter auf der Upper West Side in Manhattan überrascht, suchte Amy Tan Unterschlupf in einem Hauseingang, der zufällig zum Sitz der Amerikanischen Gesellschaft für Parapsychologie gehört. Da die Autorin eine gewisse Affinität für Übersinnliches empfindet, betrat sie kurzerhand das Haus und verbrachte den restlichen Tag im Archiv. Dabei stieß sie auf Einträge wie "Automatisches Schreiben" und "Botschaften aus der unsichtbaren Welt". Schließlich blieb sie auch an Aufzeichnungen einer Frau hängen, die die Botschaften eines Geistes namens Bibi Chen aufgeschrieben hatte.
"Bei dem Namen merkte ich auf", sagt die Autorin, und beginnt anschließend eine Frau in San Francisco zu beschreiben, die genauso hieß. Bibi war eine stadtbekannte, exzentrische Kunsthändlerin für asiatische Antiquitäten. Neben ihrem gut gehenden Geschäft besaß sie zudem eine glamouröse Erscheinung und ein mitreißendes Temperament, das sie sehr beliebt machte. Umso größer war die Bestürzung, als Bibi Chen eines Tages unter ungeklärten Umständen ums Leben kommt. Besonders ihre zwölf FreundInnen, mit denen sie eine große Reise nach Burma unternehmen wollte, finden keine Erklärung für den Mord an Bibi Chen. Als Amy Tan nach San Francisco zurückkommt, nimmt sie Kontakt zu dem Medium auf. So kam es, dass die lebenslustige Madame Chen, die sich so schnell nicht zur letzten Ruhe betten lässt, aus der Geisterwelt der Autorin über sich und ihre Beziehung zu den zwölf in Burma vermissten Touristen zu erzählen beginnt.
Somit wird Bibi zur Protagonistin und allwissenden Erzählerin von Amy Tans neuem Roman.
Obwohl Bibi, die die Kulturreise nach Burma bis in Detail geplant hatte und führen sollte, nun tot war, ließen ihre wohlhabenden und teils snobistischen FreundInnen sich dennoch nicht von dem Trip abbringen. Gemeinsam sprachen sie die Worte: "Möge Bibi im Geiste mit uns sein", womit sie gleichzeitig den ebenso regen wie rebellischen Geist Bibis herausforderten, sie zu begleiten: "So kam das. Sie wollten dass ich sie begleitete. Wie hätte ich da ablehnen sollen?"
Doch schon bald wird Bibi ungewollt Zeugin äußerst turbulenter Ereignisse, denn die geplante Bildungsreise in eine fremde Kultur entwickelt sich zu einer abenteuerlichen Odyssee. Weniger ihre Ignoranz, sondern mehr ihre Arroganz lässt die amerikanischen TouristInnen in große Schwierigkeiten geraten: Während der selbstverliebte Hundeshow-Moderator Harry in einem Heiligtum eine Rinne mit Regenwasser, das die als Opfergaben dargebrachten Räucherstäbchen wegspült, mit einem öffentlichen Pissoire verwechselte, fanden "Parkaufseher [...] Wendy und Wyatt halb entkleidet in einer Grotte. Rupert musste von einem zerbröckelnden Felsvorsprung gerettet werden, wobei empfindliche Pflanzen und die Füße einer Gottesstatue beschädigt wurden. Um nicht nass zu werden, hatte Dwight die Tür eines, wie er glaubte, verlassenen Schuppens eingetreten und er, Roxanne und Heidi hatten sich im Innern zusammengedrängt."
Doch eines Morgens verschwindet die Gruppe spurlos im burmesischen Dschungel - bis auf den verkaterten Moderator der Reisenden. Nur die allgegenwärtige Madame Chen sieht, wie sie von Einheimischen gekidnappt und tief in den Burmesischen Dschungel gebracht werden, wo sich der Stamm der Karen versteckt hält. Während die Entführer, die den Teenager Rupert für die Reinkarnation einer ihrer Götter halten, und sich von ihm die Befreiung der brutalen burmesischen Militärdiktatur erhoffen, zeigen sich die TouristInnen entzückt: "Sie hatten eine grünädrige neue Welt betreten, eine pulsierende, einfarbige Wildnis, die bebte und atmete. Meine Freunde schnappten staunend nach Luft. `Unglaublich`, `Himmlisch`, `Surreal`. Sie waren einmütig der Meinung, dass Walter - und ich, posthum - ihnen mit diesem eindrucksvollen Paradies ein großartiges Weihnachtsgeschenk gemacht hatte."
AVIVA-Tipp: Mit viel Witz und Humor erzählt Amy Tan die Geschichte vom Geist der Madame Chen, die ihre FreundInnen auf eine unvergessliche Reise nach Burma begleitet. Während sie sehr zurückhaltend aber dennoch deutlich auf die Kultur, Politik, Geschichte und vor allem die gegenwärtigen Verhältnisse in Burma unter der Militärdiktatur hinweist, verquickt sie gekonnt die Extreme ihrer Geschichte: Nämlich überaus humorvolle Geschichten mit ernsten Szenen. Amy Tan, die von sich selbst behauptet: "Ich schreibe, um mich selbst zu provozieren", legt hiermit eine Satire über den Zusammenprall der amerikanischen und burmesischen Kultur vor, und geht darin der übergeordneten Frage nach, "wie wir anderen Gutes tun können, wenn wir nicht wissen, wozu dieses `Gute` führt".
Zur Autorin:
Amy Tan wurde 1952 als Tochter chinesischer Auswanderer in Oakland, Kalifornien, geboren. Ihr Vater und ihr Bruder starben, als sie 15 Jahre alt war. Ihre Mutter, Tochter einer wohlhabenden Familie in Shanghai, hatte drei Töchter aus erster Ehe in China zurücklassen müssen, als sie nach Amerika ging. Amy Tan gehört zu den erfolgreichsten amerikanischen Schriftstellerinnen. Ihre Bücher Töchter des Himmels und Die Frau des Feuergottes wurden in 25 Sprachen übersetzt. Der Film zu Töchter des Himmels, entstand unter der Regie von Wayne Wang, und erreichte weltweit ein Millionenpublikum. Amy Tan lebt heute mit ihrem Mann in San Francisco und New York.
Amy Tan
Der Geist der Madame Chen
Originaltitel: Saving Fish From Drowning.
Ãœbersetzt von Elke Link.
Goldmann Verlag, erschienen Juni 2006
ISBN: 344230704X
539 Seiten, gebunden
21,95 Euro90008115&artiId=5345985" target="_blank">bezstellen bei