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Beitrag vom 12.10.2006
Angela Krauß. Wie weiter
Rukshana Adrus-Wenner
Mit leichten, leisen Gedanken am Morgen sinniert die Schriftstellerin in ihrem neuen Buch über das Leben, Liebe und Leiden(schaft)
Am Sonntag hat man viel Zeit. Zum Ausschlafen. Zum Nachdenken. Erinnerungen wachzurufen. Enttäuschungen zu verarbeiten. Erlebnisse hervorzurufen. Im Kopf spielt sich ein Film ab. Halb im Traum, halb schon den Tag begrüßend. Alles geschieht ein wenig verschwommen, noch benommen von der Nacht. Kindheitstage mit Großeltern, erste Liebeserfahrungen, Meditationen über den Schnee.
Die Ich-Erzählerin in Angela Krauß’ Buch "wie weiter" führt einen Monolog, ein Gespräch mit sich selbst, nimmt sich Zeit und zieht Bilanz über das bisherige Leben. Denkt nach, wie es weiter gehen könnte. Dabei hilft ihr das sonntägliche Ritual - Mikadospielen, stets auf Neue hervorholen und auf die Bettdecke legen - damit alles dem Zufall zu überlassen.
Still, leise, denn ihr Lebens- und Schlafgefährte Roman liegt neben ihr im Bett und schläft und träumt. Vielleicht verarbeitet er ebenso sein Dasein. Im Wachzustand schweigt er meistens. Ihn, den sie bei den Montagsdemonstrationen 1989 in Leipzig kennenlernte, will sie nicht stören. "Meine Liebesmenschen soll ich nie überfordern, hat mir meine Mutter schon früh aufgetragen, weshalb mehrere stets besser seien als ein einziger." Der Rat ihrer Mutter folgend - überlegt sie, ob sie einen von ihren "Liebesmenschen" behelligen soll. Zwei Wegbegleiter für den Gedankenaustausch. Beide am jeweils anderen Ende der Welt. Da ist Toma, eine tatarischstämmige Russin, eine Brieffreundin, jetzt in Moskau lebend.
Der zweite, Leo, ein Wiener Jude, vor den Nazis in die USA geflüchtet, ist ihr Telefonpartner. Getroffen hat sie ihm um die Jahrtausendwende in New York auf einem der Twin Towers. Zwischen diesen beiden Orten als Orientierungspunkte bewegt sie sich.
Da gibt es doch noch etwas anderes: die Tiere, die Trost spenden - zuhause Popolo, der Kater und Kastanorka, die Schildkröte - im Zoo die Elefanten. Aus dem Fenster ihrer neubezogenen Wohnung blickt die namenlose Protagonistin direkt ins Gehege.
AVIVA-Tipp: Angela Krauß gelingt es, über den Sinn des Lebens, die Suche nach der Identität in unsicheren Zeit, zärtlich zu erzählen. Ein schmales Buch mit tiefsinnigen Reflexionen, zum Weiterfabulieren, im Herbst, beim Spaziergehen, Zoobesuchen, Innehalten ...
Zur Autorin:
Angela Krauß, geboren 1950, lebt in Leipzig. Ihre Bücher wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 1988 und dem Berliner Literaturpreis 1996. Im Jahr 2004 hatte sie die Frankfurter Poetikdozentur inne. Zuletzt erschienen: Die Überfliegerin (1995), Sommer auf dem Eis (1998), Milliarden neuer Sterne (1999), Weggeküsst (2002)
Angela Krauß
Wie Weiter
Suhrkamp Verlag Frankfurt a.M., erschienen August 2006
117 Seiten, gebunden
14,80 Euro
ISBN 3-518-41824-6
EAN: 978351841824690008115&artiId=5516849"