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Beitrag vom 15.12.2003
Die roten Orchideen von Shanghai. Das Schicksal der Sangmi Kim
Kirsten Böttcher
Die Journalistin Juliette Morillot öffnet ein schreckliches Kapitel des Zweiten Weltkriegs: In ihrem Roman lässt sie eine koreanische "Trostfrau" zu Wort kommen
Im Jahr 1995 traf ich in Seoul eine Frau. (...) In einer Nacht erzählte sie mir ihr Leben. Ihre Träume. Ihr Leid. Im Morgengrauen zog sie sich vor meinen ungläubigen Augen aus. Ihr Körper glich einer Statue aus Stein, poliert von der Zeit, ziseliert von Säbelspitze und Zigarettenglut.
(Aus dem Prolog, von Juliette Morillot)
Die französische Autorin und Journalistin Juliette Morillot verbrachte einige Jahre in Korea und publizierte Bücher und Artikel zu koreanischen Themen. Auf dem Markt von Seoul traf sie 1995 eine alte Frau, deren Lebensgeschichte Morillot in ihrem neuen Roman verarbeitet: "Das Schicksal der Sangmi Kim".
Das Einzelschicksal der Romanprotagonistin Sangmi exemplifiziert auf tief berührende Weise die entwürdigende Existenz, in die mehr als 200 000 Asiatinnen während des Zweiten Weltkriegs gezwungen wurden. Sie alle mussten "Dienst am Vaterland" - der Besatzernation Japan - als sogenannte Trostfrauen leisten, sprich, sie lebten in sklavenähnlichen Verhältnissen als Soldatenprostituierte.
Korea unterdrückt und ausgebeutet
Korea wurde 1910 japanische Kolonie. Daraus resultierten einschneidende
Freiheitsbeschränkungen der einheimischen Bevölkerung, wie beispielsweise die Aufhebung der Presse-, Meinungs- oder der Versammlungsfreiheit. Als Japan - der spätere Kriegsverbündete des Nazi-Regimes - 1937 mit der Besetzung Chinas begann, wurden aus der koreanischen Kolonie Zwangsarbeiter und Soldaten rekrutiert. Den Frauen der japanisch besetzten Gebiete oblag eine andere Form der Pflicht für "das Vaterland": 100.000e von Koreanerinnen und später weiteren Frauen aus japanisch besetzten Nationen wurden
zur Prostitution gezwungen und in Truppenbordelle verschleppt.
Etwa ein Viertel der Frauen überlebte diese Zeit der ständigen Vergewaltigung, der psychischen und körperlichen Demütigung und Qual. Diese
"Trostfrauen", die in japanischen Schulbüchern als Sekretärinnen präsentiert werden, sind bis heute von der damaligen Kolonialmacht ignoriert worden: keine Entschuldigung der japanischen Regierung, keinerlei Wiedergutmachung.
Der Roman
Sangmi, die aus wohlhabender und gebildeter Familie stammt, wird mit 14 Jahren von der japanischen Militärpolizei verschleppt. Die zunächst angewandte Lüge des Militärs, gebildete Sekretärinnen und tüchtige Bürokräfte in Japan zu suchen, die dort gutes Geld verdienen könnten und neue Kleider bekämen, konnte Sangmi durchschauen. Das nützt ihr dennoch nichts: Für sie beginnt
eine erzwungene Odyssee als koreanische Prostituierte durch die Kriegsschauplätze: von Mukden nach Shanghai weiter nach Suzhou ("Marco Polos Stadt der 6000 Brücken"), dann in ein Versuchslager für künftige Kriegswaffen, nach gelungener Flucht weiter nach Malaysia, Jakarta und Singapur, schließlich Hiroshima. Ihre Bildung und ihre vorzüglichen Sprachkenntnisse können sie hin und wieder vor schlimmeren Qualen bewahren. Doch trotz gelegentlicher Arbeit als Übersetzerin oder als private Luxusgeliebte bleibt sie dem grausamen Despotismus japanischer Offiziere ausgeliefert, bleibt immer (sexuell) verfügbar. Erst nach der Kapitulation Japans 1945 kann sie ihrem Dasein als "Trostfrau" entkommen.
Morillot schlägt eine Brücke zwischen uns und dem weit entfernten Korea
Das Leben der Protagonistin spiegelt in seinem schrecklichen Verlauf die Auswirkungen japanischer Expansionspolitik von den 20er bis zu den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts eindringlich wider. Lassen Sie sich nicht von dem vielleicht kitschig anmutenden Buchtitel täuschen: Juliette Morillot will hier über ein wenig beachtetes, verdrängtes Kapitel der vom Faschismus dominierten Weltgeschichte aufklären und spricht die Gräueltaten klar und schonungslos aus. Durch die im Roman erzeugte Nähe der Leserin zur Titelheldin erreicht Juliette Morillot, dass wir die Schilderungen des Schmerzes und der Demütigungen Sangmis nach- oder zumindest mitfühlen. Sie,
die Autorin, "zwingt" uns zum Weiterlesen und damit zu einer ersten Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Trostfrauen.
Die roten Orchideen von Shanghai. Das Schicksal der Sangmi Kim.
Juliette Morillot
Roman. Aus dem Französischen von Gaby Wurster.
Goldmann Verlag, 2003,
ISBN 3-442-30982-4
Hardcover, Euro 22,90200868376075"