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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.09.2019


Iranische Fußball-Anhängerin erliegt nach Selbstverbrennung ihren schweren Verletzungen
Sylvia Rochow

Die 29-jährige Sahar Khodayari (#BlueGirl) war zuvor bei dem Versuch, ein Spiel ihres Lieblingsvereins in Teheran zu besuchen, verhaftet worden. Zahlreiche internationale Fußballstars rufen zum Ende des Stadionverbots für Frauen im Iran auf.




Am 9. September 2019 gab ein englischsprachiger Fan-Account mit Informationen zu dem iranischen Männer-Profifußballclub Esteghlal Teheran bekannt, dass eine weibliche Anhängerin des Vereins, Sahar Khodayari, an den Verletzungen einer Selbstverbrennung gestorben ist. Khodayari wollte sich im März 2019 Spiegel Online zu Folge als Mann verkleidet Zugang zum Teheraner Azadi-Stadion verschaffen, um die Partie des Esteghlal Tehran Football Club in der asiatischen Champions League gegen den Al-Ain Football Club (Vereinigte Arabische Emirate) zu verfolgen.

Am Eingang sei die 29-Jährige festgenommen worden und habe mehrere Tage im Gefängnis gesessen, bevor sie auf Kaution freikam. Verschiedene Social Media-Kanäle berichten, Khodayari habe, ganz in blau (der Farbe ihres Vereins) gekleidet, aus dem Stadion heraus ein Foto von sich in sozialen Netzwerken veröffentlicht und sei daraufhin verhaftet worden. Hieraus entstand der Hashtag "BlueGirl". Bei einem Gerichtstermin am 2. September 2019 soll die junge Frau erfahren haben, dass ihr bei einer Verurteilung bis zu sechs Monate Gefängnis drohen. Sie habe sich nach dem Verlassen des Gerichtssaals mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und sich selbst in Brand gesetzt. Eine Woche später erlag Khodayari in einem Teheraner Krankenhaus ihren schweren Verbrennungen.

Die Mannschaft von Esteghlal Teheran zog sich vor ihrem Ligaspiel am 15. September 2019 in Gedenken an Sahar Kodayari schwarze T-Shirts mit einem blauen Herz und den Worten "Blue Girl” über. Das Staatsfernsehen soll sich geweigert haben, die Partie zu übertragen, bis die Mannschaft die Shirts ablegte, berichtete ARD-Korrespondentin Natalie Amiri auf ihrem Twitter-Profil. Irans Ex-Fußballstar Ali Karimi (u.a. Bayern München und Schalke 04) rief seine zirka 4,5 Millionen Instagram-Follower zu Stadionboykotten auf. Die Fußballerinnen des 1. FC Köln trugen in ihrer Bundesliga-Partie gegen Turbine Potsdam am 13. September 2019 in Erinnerung an Khodoyari blaue Armbänder mit der Aufschrift "Für Freiheit, Vielfalt, Gleichberechtigung – und Fußball für alle, im Iran und überall" am Handgelenk.

In der islamischen Republik ist es Frauen laut Human Rights Watch seit 1981 verboten, Sportveranstaltungen mit Männern zu besuchen. Sanktionen des Fußball-Weltverbands FIFA wurden gegen das Land deswegen bisher nicht verhängt, obwohl die Verbandsstatuten die Gleichbehandlung von Frauen und Männern verlangen und Mitgliedsländer bei Verstößen ausgeschlossen werden könnten.

Weltweit reagierten zahlreiche Profi-Fußballerinnen und –Fußballer geschockt auf den Tod Sahar Kodayaris und riefen die FIFA mit deutlichen Worten auf, Konsequenzen zu ziehen. Mittlerweile äußerte sich der Weltverband: "Wir fordern die iranischen Behörden erneut auf, die Freiheit und Sicherheit aller Frauen zu gewährleisten, die an diesem legitimen Kampf zur Beendigung des Stadionverbots für Frauen in Iran beteiligt sind." Sportminister Massud Soltanifar kündigte unterdessen an, dass Frauen im Iran künftig Männer-Fußballspiele besuchen dürften, schränkte dies jedoch zugleich ein: "Alle notwendigen Vorbereitungen sind getroffen, damit auch Frauen, vorerst jedoch nur für Länderspiele, in die Fußballstadien kommen können." Am 10. Oktober 2019 bestreitet das iranische Nationalteam im Azadi-Stadion ein WM-Qualifikationsspiel gegen Kambodscha. Es bleibt abzuwarten, ob die Ankündigung gegen den Widerstand des mächtigen Klerus durchgesetzt wird. Die FIFA will eine Beobachterdelegation schicken.

AVIVA-Berlin fasst einige der ersten Reaktionen aus der Fußballwelt zusammen.

Kosovare Asllani
(schwedische Nationalspielerin, u.a. Schwedische Meisterin mit Linköpings FC, Englische Meisterin und Pokalsiegerin mit dem Manchester City LFC, Gewinnerin der olympische Silbermedaille 2016 sowie Schwedens Fußballerin des Jahres 2017):
"Ich verfüge über eine Plattform und ich hatte nie Angst davor, meine Stimme zu erheben, wenn es nötig ist. Das ist eine Tragödie und es kann so nicht mehr weitergehen. FIFA, es ist an der Zeit, zu handeln anstatt zu schweigen. Wir müssen den Frauen im Iran helfen, gegen die Geschlechter-Apartheid zu kämpfen. Es geht hier um Menschenrechte!"

Jérôme Boateng (ehemaliger deutscher Nationalspieler, u.a. Deutscher Meister, Pokal- sowie Champions League-Sieger mit Bayern München, Weltmeister 2014 sowie Deutschlands Fußballer des Jahres 2016):
"So etwas darf nie wieder passieren! Fußball ist für alle da. Ruhe in Frieden, Sahar Khodayari."

Ariane Hingst (Co-Trainerin des VfL Wolfsburg, u.a. Deutsche Meisterin, Pokal- sowie Champions League-Siegerin mit Turbine Potsdam, Weltmeisterin 2003 und 2007 sowie Europameisterin 1997, 2001, 2005 und 2009):
"Es ist Zeit, zu handeln, FIFA. Sie verfügen über die Macht, Änderungen zu verlangen. Fußball ist für JEDE(N)."

Hedvig Lindahl (schwedische Nationaltorhüterin, u.a. Englische Meisterin und Pokalsiegerin mit dem Chelsea Ladies FC, Gewinnerin der olympische Silbermedaille 2016 sowie Schwedens Fußballerin des Jahres 2015 und 2016):
"Hallo FIFA – es ist überfällig, etwas für die Frauen im Iran zu tun. Das ist nicht in Ordnung. Ruhe in Frieden, Sahar Khodayari – eine sehr mutige Frau!"
"Jede(r) sollte sich für die Menschenrechte einsetzen, im Iran und überall sonst. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein und nichts, wofür man sich bedanken muss."

Gary Lineker (Fußballkommentator bei der BBC, BT Sport und Al Jazeera Sports, ehemaliger englischer Nationalspieler, u.a. Europapokal-Sieger mit dem FC Barcelona, WM-Torschützenkönig 1986 sowie Englands Fußballer des Jahres 1986 und 1992):
"Zeit zu handeln, FIFA."

FC Barcelona (siebtgrößter Sportverein der Welt mit einer der international bedeutendsten Profi-Fußballmannschaften):
"Der FC Barcelona ist sehr traurig, vom Tod von Sahar Khodayari zu erfahren. Möge sie in Frieden ruhen. Fußball ist ein Spiel für alle – Männer UND Frauen, und jede(r) sollte in der Lage sein, das schöne Spiel in Stadien gemeinsam zu genießen."

Vålerenga Fotball Damer (Frauenfußball-Verein aus Oslo in der höchsten norwegischen Spielklasse Toppserien):
"In Norwegen kämpfen Frauen um Medaillen. In anderen Teilen der Welt müssen Frauen darum kämpfen, überhaupt in die Stadien zu gelangen und ihre Lieblingsteams unterstützen zu können (…)."

Weitere Infos unter:

Anti-Diskriminierungs-Bewegung iranischer Frauen für das Recht auf Stadionbesuche auf Twitter

englischsprachiger Fan-Account zum Esteghlal Teheran F.C.

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Beitrag vom 23.09.2019

Sylvia Rochow