Internationaler Hurentag am 2. Juni 2010 - Only Rights Can Stop The Wrongs - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Women + Work



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 02.06.2010


Internationaler Hurentag am 2. Juni 2010 - Only Rights Can Stop The Wrongs
Evelyn Gaida

Aufmerksamkeit auf ihre rechtliche Situation zu lenken und ihre Rechte lautstark einzufordern – dazu gibt der 2. Juni Prostituierten die Möglichkeit. Dieser inoffizielle Gedenktag, im Jahr 1975...




... von SexarbeiterInnen und ihren Organisationen gegründet, wird alljährlich ausgerufen.

Handlungsbedarf

Monika Lazaar, Sprecherin für Frauenpolitik (Bündnis 90/Die Grünen), widmete aktuellen Forderungen der Prostituierten am 1. Juni 2010 eine Pressemitteilung:
"Sie wollen einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel - denn noch immer werden Prostituierte stigmatisiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt." Obwohl das Prostitutionsgesetz die rechtliche und soziale Situation für viele Prostituierte verbessert habe, seien dennoch Verbesserungen bei der Umsetzung in den Ländern notwendig, wo die Besteuerung komplett unterschiedlich gehandhabt wird. Die Zahl der Beratungs- und Ausstiegsangebote müsse deutlich erhöht werden. "Wir brauchen arbeitsrechtliche Mindeststandards in der Prostitution und die Abschaffung des Vermieterprivilegs."

Gegen Diskriminierung und Doppelmoral

Der internationale Hurentag richtet sich gegen Diskriminierung, ausbeuterische Verhältnisse und die gesellschaftliche Doppelmoral, zwar die Prostitution zu akzeptieren, aber die Prostituierten zu verurteilen. Bevor das Prostitutionsgesetz im Jahr 2002 in Kraft trat und Prostitution als Erwerbsarbeit mit Sozialversicherungspflicht anerkannt wurde, galt Sexarbeit als sittenwidrig und war daraus resultierend in vieler Hinsicht ein praktisch rechtsfreier Raum. Erst das Gesetz ermöglichte es Prostituierten, reguläre Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen abzuschließen, Mutterschutz und Umschulungsfinanzierung in Anspruch zu nehmen und nicht geleistete Zahlungen von Freiern einzuklagen. Außerdem wurde der Straftatbestand der Förderung von Prostitution gestrichen, solange keine Ausbeutung stattfindet. "Gute Arbeitsbedingungen" gelten nicht mehr als rechtswidrig.

Ein Rückblick

Ziel des Gesetzes war es, die rechtliche und soziale Lage von Prostituierten zu verbessern. Schon im Jahr 2007 kam die Bundesregierung aufgrund eines Berichts zu Auswirkungen des Gesetzes jedoch zu dem Schluss, dieses Ziel nur teilweise erreicht zu haben. Die Ausstiegsmöglichkeiten seien nicht verbessert worden und auch die Kriminalität nicht zurückgegangen. Andererseits behindere das Prostitutionsgesetz nicht die wirkungsvolle Strafverfolgung von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Minderjährigenprostitution und Gewalt in der Prostitution, wie Teile der Öffentlichkeit befürchtet hatten. Handlungsbedarf wurde bereits vor drei Jahren auch beim Vermieterprivileg gesehen, das Lazaar dieses Jahr in ihrer Erklärung zum Internationalen Hurentag erneut angesprochen hat. Anlässlich des Berichts von 2007 erklärte die damalige Familienministerin von der Leyen: "Wer ausbeuterische Vermietung für Prostituierte betreibt, muss genauso streng bestraft werden können, wie jemand, der ausbeuterische Arbeitsbedingungen für Prostituierte festlegt. Alle Formen der Ausbeutung von Prostituierten sind gleichermaßen strafwürdig".
Wiederauflagen und Diskussionen dieser Art, die Brisanz des Themas und der bestehende Maßnahmenrückstand zeigen die dringende Notwendigkeit von Artikulationsmöglichkeiten für Prostituierte, andererseits auch deren Wirkungslosigkeit.

Unter dem Motto "Unser täglich Brot" fand im letzten Jahr, am 6. Juni 2010, anlässlich des Internationalen Hurentags ein Gottesdienst in der Bochumer Pauluskirche statt. Organisiert wurde er von Madonna e.V., der einzigen selbstorganisierten Beratungs- und Interessenvertretungsstelle für Sexarbeiterinnen in NRW.
Diese kirchliche Veranstaltung zum Thema Prostitution mag Ungläubigkeit hervorrufen, hatte ihre Wurzeln jedoch in der Geschichte des Gedenktages: Am 2. Juni 1975 besetzten mehr als hundert Prostituierte die Kirche Saint Nizier in Lyon, um ihre Probleme an die Öffentlichkeit zu bringen. Anfang der 1970er Jahre waren sie von der Polizei zunehmend unter Druck gesetzt worden. Diese beendete die Besetzung nach acht Tagen auf Geheiß des Bischofs durch Räumung, obwohl der örtliche Pfarrer mit dem Verweis auf die Kirche als Zufluchtsraum Toleranz gezeigt hatte.

Das Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg nahm den Internationalen Hurentag 2006 zum Anlass, auf die Freier-Kampagne zur Fußball-Weltmeisterschaft aufmerksam zu machen. Als notwendiges Umdenken nahm die Kampagne auch die Kunden der Prostitution in den Blick, die für gesundheitliche und soziale Probleme sensibilisiert werden sollen – auf einem humorvollen Weg. Im Vorfeld aller Spiele fanden Aktionen vor dem Olympiastadion mit wandelnden Ganzkörper-Kondomen statt. Dabei wurden Postkarten mit zehn goldenen Empfehlungen (FairPlay/Freierregeln) und Kondome an Männer verteilt sowie persönliche Fragen zur Prävention von sexuell übertragbaren Erkrankungen beantwortet. Initiiert wurde das Projekt von der AG "Gesunder Kunde", einer Zusammenarbeit von Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf mit mehreren Prostituiertenselbsthilfegruppen.

Der Deutsche Frauenrat wandte sich während der WM 2006 mit der Bitte, die Kampagne "Männer sind gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution" durchzuführen, an das DFB-Präsidium und die Spieler. Das Mega-Event wurde von einer Zunahme der Prostitution begleitet. Im Jahr 2010 wird die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika stattfinden. Wie Dr. Rita Schäfer in ihrer umfangreichen Studie "Im Schatten der Apartheid. Frauen-Rechtsorganisationen und geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika" untersuchte, ist die Situation der südafrikanischen Prostituierten mehr als schlecht – Gesetzesgrundlagen und Rechtsrealität stehen in keiner Relation zueinander, Zwangsprostitution ist ein gravierendes Problem.

Prostituierte, AktivistInnen und Organisationen warten 2010 sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext nach wie vor gespannt auf politische Maßnahmen und – bleiben am Ball. Das Hurentag-Motto "Only Rights Can Stop The Wrongs" bringt einen steinigen Weg mit sich.


Weitere Informationen finden Sie unter:

Hydra e.V. www.hydra-ev.org
Madonna e.V. www.madonna-ev.de
Sexworkers www.sexworker.at
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend www.bmfsfj.de

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"Trade - Willkommen in Amerika", ein Film über Zwangsprostitution

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Quellen: Hydra e.V., Madonna e.V., welt.de, bszonline.de, maedchenmannschaft.net, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Buendnis 90/Die Gruenen im Bundestag, www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/presse/archiv/


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Beitrag vom 02.06.2010

Evelyn Gaida